Berthold Beitz (German Edition)
Beitz dessen Botschaft: Nach Adenauer könnte ein Zeitalter der Entspannung anbrechen, wenn die Bundesrepublik auf obsolete Forderungen an Moskau verzichtet. Umgekehrt wolle die UdSSR keine Gefahr für Westdeutschland sein, sondern suche Kooperation, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Daher wird Beitz das Gespräch später manches Mal auf den Nenner bringen, Chruschtschow habe sinngemäß gesagt: Wir haben die Rohstoffe, ihr habt die Technik, und zusammen sind wir unschlagbar. Chruschtschow weiß um die ökonomische Rückständigkeit seines Imperiums und will sie mit Hilfe westlicher Firmen verringern. Dass er all dies dem Industriellen Berthold Beitz mitteilt, ist 1963 eine Sensation. Darüber hinaus ist die Versöhnungsgeste so kurz nach dem Bau der Mauer und der Kubakrise bemerkenswert genug.
Die sowjetische Staatspresse berichtet ausführlich über die Beitz-Reise. Vor Reportern sagt der Deutsche, er sei sicher, dass die Russen ihre Großröhren künftig selbst herstellen würden und dass der westliche Boykott wenig bringe. Dann kehrt er – im Gepäck ein signiertes Foto des Treffens mit Chruschtschow und ein geschenktes russisches Jagdgewehr – zurück nach Deutschland, direkt hinein in die Bonner Gerüchteküche. Worüber hat er mit Chruschtschow gesprochen? Ist er der geheime Mittler einer Einladung des Kreml an Wirtschaftsminister Erhard, unter Umgehung Adenauers? Schon am Flughafen umzingeln ihn die Fotografen, doch Beitz versucht, die Aufregung zu dämpfen: »Zur angeblichen Reise des Bundeswirtschaftsministers Erhard in die Sowjetunion kann ich nur sagen, daß die Journalisten gewiß zu viel Phantasie haben. An diesem Gerücht ist nichts dran.« Tatsächlich war beim Zweiergespräch im Kreml keine Rede davon gewesen. Fünf Tage später, am 27. Mai 1963, berichtet Beitz, der weitere öffentliche Erklärungen vermieden hat, Erhard ausführlich davon, was der Kremlchef vom designierten Nachfolger Adenauers erwartet. Die Spekulationen schießen erneut wild ins Kraut.
Unmittelbare politische Folgen hat das Gespräch von Beitz im Kreml nicht. Gleichwohl symbolisiert es den Übergang zu sanfteren Tönen gegenüber der Bundesrepublik nach der gewaltsamen Konsolidierung der DDR 1961. Auch für die Firma Krupp entstehen keine Vorteile daraus, wie Beitz 1964 enttäuscht einräumt. Krupps Geschäft mit der Sowjetunion bleibt schwankend. Beitz hegt den Verdacht, politisch als Vorzeigedeutscher aus dem »Friedenslager« missbraucht zu werden. Zeitweise will er sogar das Krupp-Büro in Moskau schließen, verwirft den Plan jedoch wieder. Aber schon 1965 kommt er mit weiteren deutschen Spitzenmanagern zur Chemiemesse in den Moskauer Sokolniki-Park, unter ihnen Wolff von Amerongen, Hoesch-Boss Willy Ochel und Peter von Siemens.
Zu denen, die Beitz den spektakulären Kremlbesuch nicht verzeihen, gehört sein Freund Axel Springer, dessen zahlreiche Blätter, allen voran die Bild-Zeitung , publizistisches Sperrfeuer gegen den Ostblock schießen. Freilich hat Axel Springer selbst einmal davon geträumt, der Mittler zwischen den verfeindeten Welten zu sein. Vom »Bewusstsein der eigenen Sendung erfüllt«, so sein Biograph Hans-Peter Schwarz, fuhr der Medien-Tycoon 1958 nach Moskau, um dem sowjetischen Staatschef einen »Wiedervereinigungsplan in fünf Phasen« zu unterbreiten, der die Neutralität Deutschlands und den Abzug aller fremden Streitkräfte vorsah. Doch Chruschtschow ließ Springer auf demütigende Weise spüren, dass sein Interesse an dessen politischen Visionen mehr als begrenzt war. Der Deutsche wartete geschlagene 17 Tage im Moskauer Hotel »National« auf die Audienz, die sich dann zum Desaster auswuchs. Der Kremlherr wollte nichts von dem Plan wissen und hielt lieber einen seiner gefürchteten Monologe. Kanzleramtsminister Globke schrieb daraufhin schadenfroh an Adenauer, Springer sei wie ein »begossener Pudel« heimgekehrt. Seitdem also führt der Verleger in seinen Blättern einen Rachefeldzug, der ins Ideologische umschlägt, und für seine Reaktion gegenüber Beitz dürfte Neid nicht das unwichtigste Motiv sein. Nach dem Fiasko in Moskau sei Springer »ja plötzlich ganz auf Anti-Ost-Kurs gegangen«, sagt Beitz heute. Der alte Freund jedenfalls wünscht Beitz zu dessen 50. Geburtstag 1963, »daß Du nicht Schaden nehmen möchtest am Osthandel, dessen Ausmaß und Form ich Dir verüble«. Später versöhnen sich die beiden wieder.
In der Politik erkennt Beitz immerhin leise Zeichen eines Wandels.
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