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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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Der Zugriff Moskaus auf die Satellitenstaaten wird wieder fester.
    Gewissermaßen stellvertretend für Botschaften sind die auch mit konsularischen Rechten ausgestatteten vier Handelsmissionen jedoch sehr bald Orte eines regen diplomatischen Austauschs zwischen Ost und West. Typisch für Beitz’ Ostkontakte ist sein Verhältnis zu Leonard Lachowski, einem kleinen, breitschultrigen Polen, dessen herzliche Ausstrahlung den Politprofi leicht übersehen lässt. Lachowski kommt 1959, erst dreißig Jahre alt, als eine Art inoffizieller Handelsrat nach Frankfurt. Als Halbwüchsiger war er am verzweifelten Aufstand der polnischen Nationalarmee in Warschau 1944 beteiligt gewesen. Nach dessen brutaler Niederschlagung durch Wehrmacht und SS erschießt die Gestapo viele seiner Freunde, er selbst wird als Zwangsarbeiter deportiert und schuftet bis an den Rand des körperlichen Zusammenbruchs – bis er zu einer verwitweten deutschen Bäuerin gebracht wird. Deren Mann ist 1942 in Stalingrad gefallen; sie hat drei Töchter, und auf dem Hof arbeiten auch französische Gefangene. »Ich wurde fast wie ein Mitglied der Familie behandelt«, erzählt Lachowski im Rückblick. »Ich aß, was sie aßen, und die Frau hat sich um mich gekümmert wie eine Mutter, als ich krank war.« So überlebt er den Krieg mit einem Menschenbild, das dem von Berthold Beitz durchaus verwandt ist. »Auf den einzelnen Menschen kommt es an«, meint Lachowski. »Einige Deutsche wollten mich umbringen, und andere waren sehr gut zu mir.«
    Als Else und Berthold Beitz 1959 zur Posener Messe fahren, möchten sie auch einen Abstecher nach Krakau machen. Der Führer, den ihnen Cyrankiewicz stellt, ist Lachowski. Es entsteht ein herzliches Verhältnis, das noch enger wird, als der Pole von 1963 an auch als offizieller Leiter der Handelsvertretung seines Staates in der Bundesrepublik fungiert. Sie jagen Wildschweine in der Eifel und trinken Wein in der Jagdhütte. Beitz führt Lachowski beim Diplomaten Helmut Allardt ein, seit 1961 Leiter der Wirtschaftsabteilung im Auswärtigen Amt und später, 1969, Botschafter in Moskau. Gemeinsam organisieren sie den Aufbau der bilateralen Handelsmissionen. »Wir haben immer lange über das Verhältnis von Polen und Deutschen gesprochen«, so Lachowski heute. »Ich sprach darüber, dass wir kein Glück mit unseren Politikern haben, und Herr Beitz darüber, dass die deutschen Politiker ihr Verhältnis zu meinem Land verbessern müssen.«
    Lachowski ist schließlich 1963 auch der wichtigste Mittelsmann bei einem Projekt, das Beitz’ nächster Coup werden soll: ein deutsch-polnisches Joint Venture, in dem Zeit -Chefin Marion Gräfin Dönhoff ein »kühnes Modell wirtschaftlicher Verflechtung« sieht, den Vorreiter »eines sehr viel vollständigeren Europa« als der Europäischen Gemeinschaft im Westen. Gedacht ist an eine Fabrik in Polen, die Getriebe und andere Mechanik herstellt. Es wäre die erste Produktionsgemeinschaft zwischen Partnern, die völlig verschiedenen ideologischen und wirtschaftlichen Blöcken angehören. Aus innenpolitischen Rücksichten stellt Beitz lediglich die Bedingung, dass die Fabrik nicht in den ehemaligen deutschen Ostgebieten errichtet werden solle. Um den Plan der amerikanischen Regierung vorzustellen, reist er Ende 1965 sogar eigens zu Vizepräsident Hubert Humphrey und zu Senator Robert Kennedy, dem Bruder des 1963 ermordeten Präsidenten. Als der Journalist Werner Höfer Beitz fragt, ob der Plan »noch Wirtschaft ist oder schon Politik«, antwortet der: »Die Wirtschaft ist ein Bestandteil der Politik. Man kann beides nicht trennen.«
    Aber die Politik ist noch nicht so weit, auf beiden Seiten nicht. Das Projekt scheitert bald an zahllosen Hürden, etwa an der Frage der Eigentumsverhältnisse, des Zolls, der Bezahlung und so fort. Es tritt ein, was Beitz befürchtet hat: »Der Teufel steckt im Detail.« Und auch die Tatsache, dass Erhard den alten Kanzler Adenauer im Oktober 1963 abgelöst hat, befreit die deutsche Ostpolitik noch immer nicht von ihren Fesseln.
    Immerhin gibt es nun die vier erwähnten Handelsmissionen in Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Diese haben jedoch einen Geburtsfehler, wie Hansjakob Stehle schreibt: »Nach den Vorstellungen der Bundesregierung dürfen sie nicht sein, was sie doch ersetzen sollen: echte diplomatische Vertretungen.« Nach wie vor ist, um im Bilde zu bleiben, der Handel der Flagge weit voraus. Dabei ist und bleibt der Umgang mit den Partnern jenseits des

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