Berthold Beitz (German Edition)
Kaiserin von Österreich, verbringt in der Privatklinik Jägerwinkel ihre Ferien, ebenso der Jazz-Geiger Helmut Zacharias. Auch Zarah Leander hält sich regelmäßig bei ihrer Freundin Trudel Hardieck auf; die Sängerin besucht in Bad Wiessee ihren Textdichter Bruno Balz (»Kann denn Liebe Sünde sein«).
Der im Dritten Reich beliebte Maler Mathias Padua, derein Haus am See bewohnte, taucht gern zu den Abenden in der »Rapunzelstube« auf, wo »Muttern« ausgewählte Gäste mit besonderen Leckereien verwöhnt; und der Schlagerkomponist Franz Grothe, der gleich nebenan wohnt, spielt dazu am Klavier: »Man kann sein Herz nur einmal verschenken.« Schwermütige Anflüge ihrer weiblichen Gäste pflegt Frau Hardieck mit Beschäftigungstherapie zu heilen: Sie schickte die Damen in die Küche zum Kartoffelschälen, damit sie sich wieder nützlich fühlen können.
Zu Beitz’ großen Leidenschaften gehört die Jagd. Schon Beitz’ Vorfahren haben eine gewisse Neigung dazu gezeigt, es aber nicht über kleine Wildereien auf den ausgedehnten Besitzungen der Barone von Sobeck hinausgebracht: Er selbst aber hat in seinem Essener Haus ein Jagdzimmer mit Erinnerungsstücken und Trophäen von Afrika bis zu den Karpaten. Die Jagd ist in den Nachkriegsjahren, was der Golfplatz heute ist: Hier trifft sich abseits der gesellschaftlichen Förmlichkeiten, wer in Unternehmerkreisen dazugehört, hier knüpft man Kontakte und sogar Freundschaften. In den Männerrunden entsteht beim Fachsimpeln über Fragen wie die, ob die amerikanische Weatherby 300 deutschen Gewehren in der Geschossentwicklung nicht doch überlegen sei, ein soziales Netzwerk; und dass man abends nach der Treibjagd in der Jagdhütte das Waidmannsheil feiert, ist diesen Beziehungen ebenfalls nicht abträglich. Sehr beliebt ist das Schüsseltreiben, das gemeinsame Abendessen in den Jagdhütten und -häusern. Hier darf man nicht fehlen, aber Beitz will auch gar nicht fehlen. Er ist, wie wir gesehen haben, in den mächtigen Ruhrkreisen der Adenauer-Ära ein Außenseiter; doch für die Jagd gilt das nicht, zumal er nun selbst als Gastgeber die Wahl treffen kann, wen er in die exklusiven Krupp’schen Jagdgründe im österreichischen Blühnbach und in Gerlos einlädt und wen nicht.
Sehr hilfreich ist diese Passion auch in Osteuropa, dessen kommunistische Nomenklatura das Waidwesen ebenso und aus denselben Gründen schätzt, wie es die Klassenfeinde im Westen tun. Wenn Beitz und Polens Premier Cyrankiewicz in den dichten Wäldern Polens jagen, sind sie unbehelligt von Höflingen, Lauschern und jedwedem Protokoll. Gleich nach dem historischen Besuch mit Kanzler Brandt in Warschau 1970 geht Beitz mit den polnischen Freunden auf die Pirsch; er kehrt erst Tage später nach Deutschland zurück, »noch ganz beeindruckt von der hervorragenden Jagd, zumal ich noch nie in meinem Leben einen solch starken Keiler geschossen habe wie abends im Nieselregen«. Ein Jagdfreund ist auch sein Mittelsmann Leonard Lachowski, der polnische Handelsrat in Deutschland. »Vielleicht«, schreibt Beitz ihm, »läßt es sich einrichten, daß wir beide anläßlich meines Aufenthaltes eine kleine Jagd unternehmen? Wie ich auf Ihrem Bild sah, haben Sie einen besseren Hirsch als wir.«
Dem rumänischen Minister für Schwerindustrie, Carol Loncear, schreibt er 1958, zu einem Zeitpunkt also, da persönliche Briefe von westlichen Industriellen an Politiker hinter dem Eisernen Vorhang noch völlig ungewöhnlich sind: »Zu einer Jagd in den so verlockenden Jagdgebieten hat es bei diesem Besuch leider nicht gereicht. Ich hoffe aber, daß sich mir hierfür noch einmal Gelegenheit bieten wird. Als kleinen Vorschuß auf diese Jagdfreuden möchte ich Ihnen ein Buch eines meiner Freunde zusenden, das sehr schöne Aufnahmen aus der afrikanischen Tierwelt enthält.« Und es kommt vor, dass Berthold Beitz bei der Wiedereinreise nach Deutschland die Frage, ob er etwas zu verzollen habe, den erstaunten Grenzbeamten wie folgt beantwortet: »Jagdbeute aus der Staatsjagd des polnischen Staatspräsidenten: Wildschweine, Hirsche und Rehe.«
Freilich hat die Jagd für Berthold Beitz nicht allein die Funktion des geschäftsfördernden »Ballerns und Becherns« im »handverlesenen Kreise« der Industrieeliten, die mühelos ihre Karrieren aus dem Dritten Reich in der Bundesrepublik fortsetzen und die Nina Grunenberg in ihrem Buch Die Wundertäter so anschaulich wie sarkastisch beschreibt. Ohnehin ist Beitz selbst wohl kaum zu dieser
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