Berthold Beitz (German Edition)
freilich gute, maßgeschneiderte, seinen hohen ästhetischen Ansprüchen genügende Kleidung. Beitz kauft die Stoffe für seine Anzüge bei dem Berliner Herrenausstatter Heinrich Dietel auf dem Kurfürstendamm. Dietel, ein Gentleman alter Schule, berät Beitz, der ihm jahrzehntelang die Treue hält. Entsprechend ist sein Ruf. »Beitz kommt, eleganter denn je, aus Peking zurück«, notiert Willy Brandts Berater Klaus Harpprecht 1973 nach einem Besuch von Beitz im Bonner Kanzleramt. Der frühere Regierungssprecher Klaus Bölling meint: »Berthold Beitz ist einer der am besten angezogenen Männer der bundesdeutschen Gesellschaft – ohne das Britische daran zu übertreiben wie Walter Scheel, der mit seinen Manschettenknöpfen und dem Tüchlein immer ein bisschen zu viel Savile Row aufgetragen hat.«
Man könnte das Achten auf Äußerlichkeiten nun für Attitüde halten, aber darum geht es nicht. Für Beitz ist ein gepflegtes Erscheinungsbild schlicht eine Frage des Respekts vor dem Gegenüber. Tatsächlich verabscheut er bei seinen Mitarbeitern verstrubbelte Haare, ungeputzte Schuhe und schrille modische Extravaganzen jedweder Art. Das muss auch Kurt Schoop erleben, und zwar gleich an seinem ersten Arbeitstag in Essen 1954. Beschwingt betritt der spätere Protokollchef Beitz’ Vorzimmer an der Altendorfer Straße, aber Beitz’ Sekretärin Irma Heitmann, die mit ihrer tiefen Stimme ein strenges Regiment führt, sagt nicht etwa: »Willkommen, Herr Schoop. Herr Beitz erwartet Sie.« Sondern: »Was ist denn das? Mit den Schuhen kommen Sie da nicht rein.« Seine modischen hellen Wildlederschuhe, so bedeutet sie Schoop, würden mit Sicherheit das Auge des Generalbevollmächtigten beleidigen, und das wäre doch ein denkbar schlechter Einstand. Sie schickt den Neuen in die Stadt: »Kaufen Sie sich bitte ein ordentliches Paar Schuhe und kommen Sie wieder.« Wenn die Enkelsöhne zu Besuch kommen, bewundern sie in Großvaters Schrank »diese fantastische Sammlung von Krawatten, in so vielen Farben; wir Kinder dachten, das ist wie in einem Königspalast«, so Robert Ziff. Bis heute sind die Enkel dieser Gewohnheit treu geblieben. Noch im Alter zieht Beitz seine Schlüsse aus dem Erscheinungsbild seiner Mitmenschen, wie Wolfgang Clement als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen einmal erlebt hat: Bei einem Festakt, dessen Redner der akademischen Neigung zur Ausführlichkeit nicht widerstehen, sieht er, wie Beitz neben ihm die Socken und Schuhe der Umsitzenden mustert, um dann ihm, Clement, zuzuflüstern: »Schauen Sie mal, der hat schöne Schuhe; aber der da hinten …«
Schon in Hamburg hat sich Berthold Beitz einen außerordentlichen Sinn für Pünktlichkeit zugelegt – weshalb er bei seinem entscheidenden Treffen mit Alfried Krupp in den »Vier Jahreszeiten« fünf Minuten vorher zur Stelle war. Pünktlichkeit gehört aber auch zu den Regeln gesellschaftlicher Etikette in Industriekreisen, zumal im Ruhrgebiet, dem Stammland der strengen Stahlpatriarchen. So gerät das Ehepaar Beitz, als in Essen erstmals Gäste zum Abendessen eingeladen waren, in eine gewisse Verlegenheit: »Pünktlich mit dem Glockenschlag« fuhren die Wagen der Gäste vor, wie Susanne Henle erzählt; sie erinnert sich noch an erstaunliche Gepflogenheiten: »Häufig gab es regelrechte Wagenstaus ein, zwei Straßenzüge vor der Adresse des Gastgebers. Die Leute waren so frühzeitig abgefahren, um nur ja nicht zu spät zu kommen. Fünf Minuten vor der Zeit begann die Kolonne dann anzurollen.«
In Essen hat Beitz an Macht und Freiheit gewonnen, er hat aber auch etwas verloren, nämlich die relative Unbeschwertheit des Hamburger Freundeskreises. Dort ist er einer der »Könige von Hamburg« gewesen, die gemeinsam zu feiern verstanden. In Essen ist seine Stellung wesentlich exponierter, und er muss sich gegen ein Heer von Neidern und Feinden durchsetzen – von den Ruhrbaronen und Adenauers BDI -Freunden bis zu den Widersachern im eigenen Haus und in der Krupp’schen Großfamilie. Er ist, wie die Briten sagen, lonely at the top, auch wenn er zu viele Menschen trifft und zu gesellig ist, um wirklich einsam zu sein. Aber es ist nicht mehr dasselbe wie damals, als die Freunde Mitternachtsdrinks in den »Vier Jahreszeiten« orderten, ganz und gar nicht. »Du bist ein großer Mann und hast viele Feinde«, schreibt er Springer 1957, »und auch ich habe, wie Du weißt, viele Feinde.«
In dieser Welt an der Ruhr gibt es, außer Else, fast niemanden, dem er sich
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