Berthold Beitz (German Edition)
Instinkt als Unternehmenslenker. Als Krupp in der Stahl- und Kohlekrise weiterhin auf die Schwerindustrie setzte, trug Beitz seine anderslautende Meinung vor, akzeptierte dann aber Krupps Entscheidung. Er trug sie fortan mit, ohne im Konzern jene Haltung zur Schau zu tragen, mit der die zweiten Männer gern ihrem Umfeld signalisieren: »Ja, wenn ich nur könnte, wie ich wollte …« Als dann die Presse das Duo heftig für seine Fixierung auf die Schwerindustrie kritisierte, stand Beitz zu seinem Chef: »Sein Vertrauen ist mir wichtiger als alle Zeitungsartikel der Welt.«
Vielleicht liegt ein Geheimnis dieses Bundes zweier Männer in ihrem besonderen Verhältnis zur Macht. Alfried Krupp besaß sie und war sich ihrer bewusst, doch machte es ihm keine Freude, sie auszuüben. Beitz verfügte über geliehene Macht, und in einer feinen Beobachtung schrieb der Publizist Erich Kuby schon 1963: Vielleicht sei auch der Generalbevollmächtigte »ein gleichfalls scheuer, mißtrauischer Mann, dem die Macht selbst nichts bedeutet, um so mehr aber das Bewußtsein und die Ausübung von Macht, die eine fortwährende Bestätigung mit sich bringt, daß man schneller, heller, zielbewußter und instinktsicherer ist als diejenigen, mit denen man es zu tun hat«. Hier also der Besitz und dort die Ausübung von Macht: So betrachtet, gab es zwischen den beiden Männern keinen Kampf um Macht, kein Gerangel, kein Alphatier-Gehabe auf Kosten des jeweils anderen. Sie ergänzten sich einfach hervorragend.
Berthold Beitz war nicht der Kronprinz, der mit leiser Ungeduld auf die Nachricht wartet, dass der König endlich tot sei. Bei der Trauerfeier auf dem Hügel 1967 gab es nur sehr wenige, die von Herzen um Alfried Krupp trauerten. Berthold Beitz stand am Sarg und weinte, und in seiner Ansprache sagte er: »Diese Freundschaft hat mein Leben geprägt.«
Aber welche Art von Freundschaft war das?
Heute sagt Berthold Beitz: »Nein. Freunde im engen persönlichen Sinne waren wir nicht.« Da war die Hierarchie, die Beitz stets bewusst war und gegen die er eben nicht aufbegehrte. Er selbst vergleicht ihr Verhältnis mit dem »eines mittelalterlichen Königs zu seinem ersten Mann am Hofe, der diesem die Macht überträgt und Treue erwarten kann. Ich habe ihn als Chef immer respektiert, und er hat mir immer freie Hand gelassen.« Sie waren Lehnsherr und erster Ministerialer, Sultan und Großwesir, Präsident und Kanzler. Nicht Freunde, die durch dick und dünn gehen, alles miteinander teilen und über alles sprechen. Dazu war Alfried Krupp zu zurückgezogen in sich selbst, zu entfernt, zu menschenscheu. »Er war auf Distanz«, sagt Beitz, »immer auf Distanz« – ein Leben lang: »Er war ein sehr einsamer Mann.«
Und Beitz, der die Einsamkeit in Polen unter ganz anderen Umständen sehr wohl erfahren hatte, verstand den anderen trotz dieser Distanz.
Eine Vater-Sohn-Beziehung also? Dazu fehlten die emotionalen Abhängigkeiten, dazu war Alfried Krupp zu entfernt und Berthold Beitz zu eigenständig. Beitz mochte Dankbarkeit, ja Verehrung und sehr hohe Achtung für den nur sechs Jahre älteren Mann empfinden. Doch devot trat er ihm nicht gegenüber. Der Ton zwischen beiden war freundlich, entspannt und unterfüttert von jenem Humor, der Berthold Beitz so auszeichnet und den er umgekehrt aus der Tiefe des Krupp’schen Schweigens hervorzulocken verstand.
Es war ein freundschaftliches Verhältnis, von tiefem gegenseitigem Respekt und ebenjenem Vertrauen getragen, das sie kaum jemandem außerhalb ihrer Gemeinschaft schenkten. Enzio Graf von Plauen, der Freund aus jungen Jahren, hat Alfried Krupp einmal offen gefragt, was viele dachten: »Fühlen Sie sich durch Berthold Beitz eigentlich nicht überfahren?« Schließlich war es Beitz, der dem Unternehmen Krupp das Gesicht gab, in den Schlagzeilen stand, einsame Entscheidungen traf – das alles im Namen des Mannes, dem Krupp gehörte, der Krupp war . Hatte er, das wollte von Plauen damit sagen, den Generalbevollmächtigten eigentlich noch unter Kontrolle? Alfried Krupp aber antwortete darauf gelassen und mit typischem Understatement: »Ich übersehe den Betrieb noch zur Genüge.«
Günter Vogelsang hat selbst erlebt, wie empfindlich Beitz reagieren konnte, wenn er glaubte, jemand dränge sich zwischen ihn und Alfried Krupp. Einmal etwa glaubte er, Vogelsang sei beim Konzernherrn vorstellig geworden, um Vorstand der Rheinhausener Hüttenwerke zu werden; dabei hatte Alfried Krupp Vogelsang selbst gefragt.
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