Berthold Beitz (German Edition)
Bohlen und Halbach in dieser Hinsicht verwandter, als ihre Umwelt ahnen mochte: Nach Boryslaw traute er den Menschen nicht mehr. Wer sein Vertrauen wollte, der musste es erwerben, und leicht war das nie. Vertrauen war und ist für ihn ein hohes und seltenes Gut. Nur so lässt sich begreifen, wie überaus bedeutsam für Berthold Beitz das Vertrauen war, das Alfried Krupp, der mächtige Konzernherr von der Ruhr, in ihn setzte, ihn, den Fremden, den er 1952 ganz allein auswählte und nach Essen holte. Beitz war dort ein Außenseiter, aber Alfried Krupp war es auch. Als Generalbevollmächtigter regierte Beitz ein privates Imperium. Es gab in der Wirtschaft ganz Westeuropas wohl keinen anderen Posten, der so viel Macht und Verantwortung bot. Beitz war niemandem verantwortlich außer seinem Gewissen und Alfried Krupp. Für ihn war es, als habe er das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit in die Waagschale gelegt – und sei für schwer genug befunden worden: »Er [Alfried Krupp; J. K.] vertraute mir zu hundert Prozent. Hätte ich ihn einmal hintergangen oder dieses Vertrauen enttäuscht, wäre das vorüber gewesen.«
Ein solcher Bund hätte nur einen Feind haben können, von dem wirklich Gefahr ausging – sich selbst. Nicht wenige Bündnisse zwischen zwei Männern sind daran zerbrochen, dass beide insgeheim doch überzeugt waren, es könne nur einen geben; dass die Fliehkräfte zu stark wurden, der Raum zu klein für beide, das Maß an Macht nicht genug; dass der Höhergestellte dem anderen misstraute und das an ihm zu fürchten begann, was er selbst nicht besaß. Und dass der andere wiederum nach dem Ganzen zu greifen begann oder sich dies doch insgeheim wünschte. Weil das so ist, gibt es in Wirtschaft und Politik viele Führungspersönlichkeiten, die es vermeiden, einen Nachfolger aufzubauen.
Aber nichts davon ist eingetreten. Das Bündnis zwischen Alfried Krupp und Berthold Beitz hielt so fest, dass an ihm alle – undes gab viele – Versuche zerbrachen, den einen gegen den anderen auszuspielen. Beitz erlaubte keine Illoyalität dem Alleininhaber gegenüber, Krupp deckte ihm den Rücken. Beitz bringt das noch heute auf den Nenner: »Alfried Krupp stand nicht hinter mir, er stand vor mir.« Nirgendwo war schriftlich fixiert, wo die Grenzen der Generalvollmacht lagen – denn sonst wäre es ja keine gewesen – und bei welchen Entscheidungen Beitz den Alleininhaber vorab zu konsultieren habe. Es war also eine Frage der Intuition, des Verstehens. Tilo von Wilmowsky hat das besondere Verhältnis der beiden Männer begriffen, als Einziger in der Familie von Bohlen, die sonst nur zu geneigt war, Beitz zu unterstellen, er wolle der letzte Krupp werden und Alfrieds Platz einnehmen. Der alte Freiherr wusste es besser. Noch im hohen Alter schrieb er Beitz 1963, »innerlich bewegt: Lange Erfahrung hat mich gelehrt, wie selten ein solch gegenseitiges Verständnis in Lebenslagen ist.«
Die anderen mochten sich ereifern über Beitz’ handgenähte Anzüge, seinen fremdländischen Musikgeschmack, seine anfängliche Unkenntnis in Sachen Stahl, den fehlenden »Stallgeruch«, seine bis zum Groben reichende Direktheit, die der britische Observer als »bald von schockierender Taktlosigkeit, bald von rührender Herzensgüte« beschrieb, und noch über vieles mehr. Alfried Krupp jedoch hielt stets an Beitz fest, denn er erkannte in ihm etwas Vertrautes, wenn auch in völlig anderer Form: Kraft, Durchsetzungsstärke, innere Freiheit vom Urteil anderer, Entschlossenheit selbst zu einsamen Entscheidungen, auch das menschliche, humane Maß – einen Mann, der entscheiden und durchgreifen, zugleich aber auch integrieren und Konsens herstellen kann. Diesen Mann an sich zu binden, war eine so einsame wie richtige Entscheidung. Sie zeugt von Menschenkenntnis.
Graf Finckenstein, der als Essener Privatbankier viel mit beiden zu tun hatte, beschreibt dies so: »Alfried Krupp hatte die Fähigkeit verloren, Vertrauen zu schenken – bis er Beitz traf.« Er verließ sich fortan auf ihn, und der dankte es ihm mit Loyalität. Durch Alfried Krupp erhielt Beitz etwas, was er in seinem Leben und zumal nach Polen immer angestrebt hatte – die Freiheit des Handelns: »Ich bin ein Mann, der seine Freiheit liebt. Ich wollte stets über mich selbst bestimmen.« Er blieb unabhängig von Werksseilschaften, Parteien, dem Ränkespiel der Verbände.
So bestimmend war diese Loyalität für das beiderseitige Verhältnis, dass sie sogar stärker war als Beitz’
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