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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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und verarmte Anneliese Hildebrand. Ihre Nervenlähmung ist nun so weit fortgeschritten, dass sie kaum noch gehen kann. Lange liegt sie im Krankenhaus, und schon bald nach der Verhaftung ihres Mannes gibt sie die beiden Kinder aus Verzweiflung in ein Heim. Über den Kripobeamten Wilde hat Beitz von ihrer Lage erfahren, und über ihn lässt er ihr zu Weihnachten 1951 einen Präsentkorb mit Lebensmitteln zukommen. »Er meldete sich als Weihnachtsmann«, schreibt Frau Hildebrand an Beitz, »ich kann es kaum glauben, daß all diese Leckereien uns gehören sollten.« Nebenbei beschreibt sie Wilde, der das Paket in ihr Krankenzimmer gebracht hat, als »rührend guten Menschen«, auch wegen »seiner Haltung in der Angelegenheit meines lieben Mannes«.
    Letzteres ist wenig erstaunlich, da Wilde offen Sympathie für den früheren SS -Mann erkennen lässt, »diesen armen Kerl«, eine Reaktion, die für den Polizeiapparat der frühen fünfziger Jahre nicht untypisch ist. Vor Beitz’ Zeugenaussage bei Gericht im April 1952 schreibt Wilde ihm: »Leider Gottes sind die Entlastungszeugen alle schon gehört, so daß die nächsten Tage nur Belastungen für Hildebrand bringen werden.« Wilde belässt es freilich nicht dabei, den Weihnachtsmann für Familie Hildebrand zu spielen. Er versucht sogar, mit Hildebrands Schwager, dem Industriellen Diekmann, eine Art Unterstützerkreis für den Angeklagten zu organisieren und Beitz dafür zu gewinnen: »Es bestand die ernsthafte Absicht, Sie in Hamburg damit zu überfallen.« Doch so weit lässt es der nicht kommen.
    Im Sommer 1952 erhält Beitz Post von Karl-Heinz Bendt, jenem alten Bekannten, der ihn 1942 auf dem Gestaporevier in Breslau vor einer Anklage wegen »Judenbegünstigung« gerettet hat. Bendt schreibt dem »lieben Bobby«: »Also Herr Dr. Werner Best vom Büro Achenbach in Essen ist bereit, dem Mann [Hildebrand; J. K.] zu helfen. Dafür wäre aber eine Unterredung mit Dir notwendig, weil ich zu wenig davon weiß. Dr. Best ist jederzeit für Dich zu sprechen.« Dies aber sind trübe Gewässer, in die Beitz nicht geraten will: Besagter Werner Best, ehemaliger Reichsbevollmächtigter im besetzten Dänemark, dort nach 1945 zum Tode verurteilt, jedoch 1951 nach Deutschland entlassen, hat mit dem nordrhein-westfälischen FDP -Landtagsabgeordneten Ernst Achenbach den »Generalamnestie-Ausschuß« gegründet, mit dem Ziel, möglichst viele von den Alliierten bereits verurteilte NS -Verbrecher als angebliche »Opfer« einer »Siegerjustiz« auf freien Fuß zu bekommen – ein Vorhaben, das leider viele Unterstützer in der Politik hat, sogar bis in die Regierung Adenauer hinein, die wiederholt beim Alliierten Hochkommissar vorstellig wird.
    Doch das irrlichternde Treiben dieser rechten Kreise liegt Beitz mehr als fern. Er hält Distanz. Anneliese Hildebrand, die er weiterhin gelegentlich mit Paketen versorgen lässt, trifft er trotz ihrer Bitten nicht persönlich. Und auch mit Wilde korrespondiert er in der Regel nur; zum Dank für dessen Botengänge zu Frau Hildebrand schickt er ihm einmal eine Kiste Zigarren. Intensiver ist dagegen der Kontakt zu Eberhard Penning, einem Untersuchungsrichter beim Landgericht Bremen, der viele Fragen an Beitz hat und später selber beim Verfahren als Zeuge aussagt: Hildebrand hat ein ihm gegenüber bereits abgelegtes Geständnis, bei der Liquidierung des jüdischen Arbeitslagers Tarnopol beteiligt gewesen zu sein, vor Gericht widerrufen. Doch der Richter glaubt ihm nicht. Pennings Aussage belastet den Angeklagten schwer. Zwischen Penning und Beitz entwickelt sich ein freundschaftliches Verhältnis. Die Geschichte des Hildebrand-Prozesses verrät manches über Berthold Beitz. Sie zwingt ihn, vor anderen von jener Vergangenheit zu sprechen, über die er sonst schweigt. So ist das Grauen jener Jahre wieder präsent, und niemand würde es Beitz verübeln oder sich nur wundern, wenn er den SS -Untersturmführer als Mörder unter vielen Mördern geschildert hätte. Niemand – außer ihm selbst.
    Es ist die innere Unabhängigkeit, die Freiheit zu festen moralischen Maßstäben, die ihm in Boryslaw die Kraft zum Widerstehen gegeben hat. Und mit derselben Unabhängigkeit misst er jetzt, wenige Jahre später, Friedrich Hildebrand. Beitz behauptet nie, Hildebrand sei unschuldig gewesen. Noch heute sagt er über ihn: »Er hat viele Menschen getötet.« Aber eben nicht vor seinen Augen. Beitz war es damals gelungen, in Hildebrand eine Seite jenseits des monströsen

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