Berthold Beitz (German Edition)
Er kehrt zurück in sein Leben, wie aufgetaucht aus der Vergangenheit.
»ICH BIN UNSCHULDIG!«: DAS URTEIL
In Bremen zieht sich der Prozess noch viele Monate hin. Zu den Entlastungszeugen gehört auch Emil Peter Ehrlich, Berthold Beitz’ Vertrauter aus Boryslaw. Nach dem Verhältnis seines damaligen Beschützers zum Angeklagten befragt, bestätigt er Beitz’ Schilderungen: »Beitz mußte sich eines Instruments bedienen.« In der weiteren Befragung durch den Vorsitzenden heißt es:
Frage: Kann man aus Ihren Äußerungen entnehmen, daß, wenn Beitz sich an Hildebrand wandte, er in der Regel Erfolg hatte?
Antwort: In den Fällen, die bekannt wurden, hatte Beitz in der Regel Erfolg.
…
Frage: War Hildebrand blutrünstig oder gewalttätig?
Antwort: Ich schätze, daß durch die Interventionen von Beitz bei Hildebrand etwa 100 Menschen das Leben gerettet wurde.
98-mal hat das Schwurgericht verhandelt, 213 Zeugen befragt, Gutachten und Expertisen angehört, ehe es schließlich am 12. Mai 1967 sein Urteil fällt. Fritz Hildebrand hatte am vorletzten Tag während seines Schlusswortes noch gerufen: »Ich bin unschuldig!«, dann war er auf der Anklagebank zusammengesunken, hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und geschluchzt. Das Urteil trifft ihn mit voller Härte: lebenslanges Zuchthaus. Der Angeklagte, so Richter Brademann, habe »aus dem Gefühl praktisch unbegrenzter Macht heraus« und »um Furcht und Schrecken zu verbreiten« Morde und Beihilfe zum Mord verübt. Hildebrand sitzt mit grauem Gesicht auf der Anklagebank und starrt auf den Boden, als der Richter ihm noch einmal jene Verbrechen vorhält, an denen der Angeklagte so gänzlich schuldlos sein will: Wie die Lagerhäftlinge antreten und zusehen mussten, als Hildebrand seine SS -Männer den jüdischen Kaufmann Fischl Habermann und dessen Sohn Josef erschießen ließ. Oder wie in Borkie Wielki 250 Juden durch das Spalier einer Mordeinheit in eine Baracke laufen mussten und darin erschossen wurden. Am Ende gossen die Henker Rohöl über die Wände und zündeten das Gebäude an.
Diese Verbrechen aber hatten sich nicht in Boryslaw abgespielt, und das Schwurgericht fand keine nachweisbaren Taten, die Hildebrand dort – also während seiner Kontakte zu Beitz – verübt habe. Hildebrand bleibt somit ein Mann mit zwei Gesichtern. Das eine haben Beitz und Ehrlich beschrieben, das andere die vielen Zeugen, die Hildebrand jenseits von Boryslaw erlebt haben. Allerdings identifiziert das Urteil Hildebrand – über die erwiesenen Tatbestände des Mordes und der Beihilfe zum Mord hinaus – als verantwortlichen Offizier und damit als aktiven Teil des deutschen Vernichtungsapparats im Generalgouvernement: Mehrfach war er »der höchststehende Funktionär am Ort der Tat. Durch seine die Exekutionen stärkende Anwesenheit hat er den Massenmord tatkräftig und bereitwillig unterstützt.« Damit sind auch die Exekutionen am Boryslawer Schlachthof 1943 gemeint. Beitz weiß noch heute um sein moralisches Dilemma: »Das haben mir viele übelgenommen, auch unter den Juden – ausgerechnet ich sage vor Gericht zugunsten eines SS -Manns aus. Aber ich war in Boryslaw doch nicht allmächtig. Mit Hildebrands Hilfe habe ich viel für die Verfolgten erreicht. Die Fairness gebot es mir, die Dinge so zu berichten, wie ich sie erlebt hatte.«
GERÜCHTE UND GERECHTE: EPILOG IN JERUSALEM
Zur selben Zeit, als Hildebrand in Bremen auf der Anklagebank sitzt, verschickt die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, auf Beitz aufmerksam geworden, Fragebogen an Überlebende aus Galizien. Die zuständige Kommission erwägt, den Krupp-Generalbevollmächtigten als »Gerechten unter den Völkern« zu ehren, eine sehr seltene Auszeichnung für einen Deutschen.
Doch nun erhebt sich in Israel Widerspruch. Manche Überlebende, zumal jene aus Drohobycz, welche die Verhältnisse in Boryslaw nicht kannten, können seine Aussage vor Gericht nicht fassen – eine durchaus verständliche Reaktion. Doch die Proteste werden der wirklichen Rolle des einstigen Karpathen-Öl-Direktors Berthold Beitz wenig gerecht. Gerüchte kursieren, wie sie 1950 schon einmal aufgekommen waren: Beitz habe nur aus Eigennutz gehandelt, um seine Position in der Rüstungsindustrie zu stärken. »Direktor Beitz ließ die armen Juden arbeiten, weil dies eine für Hitler-Deutschland kriegswichtige Industrie war«, schreibt Amelia Birnstein nach Jerusalem. Ein anderer behauptet gar, er habe Juden nur gegen »fetten Obolus«
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