Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
Vom Netzwerk:
Stelle. Sein Schwager erbarmte sich und verschaffte ihm eine einfache handwerkliche Tätigkeit in seinem Betrieb, der dank des einsetzenden Wirtschaftswunders bereits florierenden Werbefirma Richter & Dieckmann in Bremen. Ebendort, am Sielwall, spricht ihn im Herbst 1950 ein Mann an: »Mensch Fritz, was machst du denn hier?«
    So taucht Friedrich Hildebrand wieder aus der Anonymität auf. Der frühere Leiter des Arbeitslagers Boryslaw war nach der Räumung des Erdölgebiets vor den rasch vorstoßenden Panzern der Roten Armee erstmals zur Front abkommandiert worden, ein Granatsplitter hatte ihn am Hals verwundet. In den letzten Kriegstagen hatte er versucht, sich in Zivilkleidung abzusetzen, war aber von britischen Soldaten aufgegriffen worden. Der SS -Mann gab sich als Unteroffizier der Wehrmacht aus und wurde an Neujahr 1946 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er blieb unerkannt.
    In Bremen hat er zunächst Glück. Der Arbeiter, der ihn auf der Straße wiedererkennt, ist Heinz Schröter, ein Weggefährte aus der SS schon seit 1933. Schröter hat sich, wie er Hildebrand bei dem unverhofften Wiedersehen mitteilt, »gerade vor ein paar Tagen mit anderen Kameraden über dich unterhalten«. Wie nicht anders zu erwarten, sehen die beiden nichts Anstößiges an Hildebrands Vergangenheit. Schröter gibt dem »Fritz« denn auch einen guten Rat unter alten Kameraden: »Ist es nicht richtiger, wenn du dich hier nicht sehen lässt?« Hildebrand soll geantwortet haben: »Nein, warum denn? Ich habe ja nichts getan.« Ob er das wirklich glaubt? Ob er tatsächlich annimmt, wie er später vor Gericht erklären sollte, er habe in Polen ja nur Befehle von weiter oben befolgt und sei für seine Taten gar nicht verantwortlich?
    Er beschließt, zu bleiben – eine folgenschwere Entscheidung, denn so nimmt die Gerechtigkeit ihren Lauf, wenigstens in diesem Fall. Nur wenige Tage nach der Begegnung mit Schröter, am 14. Oktober 1950, ist Hildebrand in der Hutfilterstraße wieder auf Montage, als ein Passant plötzlich stehen bleibt, ihn eindringlich mustert und dann sofort zur Polizei geht. Der Mann, Wilhelm Ornstein, ist ein ehemaliger Insasse des Zwangsarbeiterlagers Drohobycz und einer von jenen Juden, die dort für Hildebrand als persönliche Diener unter Lebensgefahr Besorgungen aller Art erledigen mussten.
    Ornstein ist eigentlich nur zufällig in Bremen, denn er wartet dort auf die Papiere für seine Auswanderung. Nun erstattet er Anzeige, die Polizisten nehmen den ehemaligen SS -Untersturmführer Hildebrand auf der Baustelle vorläufig fest. Seine Flucht ist vorüber. Tausende, Abertausende seinesgleichen sind noch frei. Und die Mehrheit von ihnen wird es bleiben.
    »HALTEN SIE SICH FEST«:
DER ENTLASTUNGSZEUGE ( 1952/53 )
    Hildebrand kommt in Untersuchungshaft und wird von der Kripo vernommen. Schon bald melden sich die Ermittler auch bei Berthold Beitz in Hamburg: Hildebrand hat ihn als Entlastungszeugen genannt. Beitz berichtet den Polizisten von Boryslaw, von einer gesetzlosen Zeit, die erst wenige Jahre zurückliegt und doch nun weltenfern erscheint, als er und seine Besucher in seinem modernen, lichtdurchfluteten Büro sitzen.
    Vermutlich ist die Vernehmung des Zeugen Beitz für die Bremer Beamten eine Überraschung. Denn anders als viele jüdische Überlebende aus dem Generalgouvernement findet der Direktor der Iduna-Germania keine bösen Worte über Hildebrand. »Mir ist nie bekannt geworden«, sagt er ihnen, »daß sich die Verhältnisse für die Juden seit dem Zeitpunkt des Erscheinens des Hildebrand in den Lagern in irgendeiner Form verschlechtert hätten.«
    Er berichtet, dass Hildebrand »beide Augen zudrückte«, als er die jüdische Sekretärin Hilde Berger ohne die Armbinde mit dem gelben Stern in Beitz’ Büro entdeckte. Ein Wort Hildebrands hätte genügt, und die junge Frau wäre des Todes gewesen – und möglicherweise auch Beitz.
    Der Retter als Entlastungszeuge des Henkers? Auf den ersten Blick muss dies erstaunen. Beitz selbst hat in Boryslaw, wie er heute sagt, »oft Hass empfunden« auf die SS -Offiziere, die Mörder, die Handlanger des täglichen Wahnsinns. Verständnis für die Täter hat er gewiss keines. Und doch belastet er Hildebrand nicht.
    Die Überlebenden dagegen, die während des Verfahrens vor dem Landgericht Bremen aussagen, können nicht wissen, was Beitz in Boryslaw durch den SS -Mann erreicht hat. Sie hassen die Männer, die ihnen so viel Leid angetan, die ihnen die Familien geraubt und

Weitere Kostenlose Bücher