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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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Henkers anzusprechen, der dieser ohne Zweifel auch war. Er wusste, dass Hildebrand vieles getan hatte, was er nicht hätte tun müssen, und sei es, dass er Beitz zuliebe viele Morde unterließ. Es war ein gefährliches Spiel, das Beitz mit der SS spielen musste, eines, in dem er sehr wenige Trümpfe besaß und der Gegner die Regeln bestimmte. »Ich musste ihn benutzen, wenn ich etwas für die Verfolgten erreichen wollte«, sagt Beitz im Rückblick.
    Von der Ausnahme Hildebrand abgesehen, lehnt es Beitz rundweg ab, sich für ehemalige Mitglieder der SS oder der Sicherheitspolizei aus dem Generalgouvernement einzusetzen. Gustav Wüpper, der frühere Leiter der Schutzpolizei in Boryslaw, mit dem Beitz 1943 im »Colosseum«-Kino um so viele Leben gerungen hatte, kannte möglicherweise Beitz’ Zeugenaussage zugunsten von Hildebrand. Im November 1958 jedenfalls sitzt Wüpper im Hamburger Untersuchungsgefängnis und bittet Beitz in einem Brief um Hilfe. Tatsächlich hatte er ihm mehrfach gestattet, einzelne Juden zu retten – wie Mina Horowitz und jenes Kind, das sie für das ihre ausgab.
    Beitz hat Wüpper jedoch in Aktion gesehen. Er kennt ihn als Gegenspieler, den man unter Berufung auf das OKH und die Unentbehrlichkeit der jüdischen Rüstungsarbeiter zwar zu Zugeständnissen bewegen konnte, er kennt ihn aber auch als Mörder, als Täter, als Mann ohne Gewissen. Und der verlangt nun von Beitz, zu seinen Gunsten vor Gericht auszusagen. Er, Wüpper, sei doch »immer fair und anständig gewesen«. Noch Jahrzehnte später spricht Berthold Beitz voller Abscheu von Wüpper: »Er war doch immer dabei gewesen, bei all diesen Erschießungen, er hatte das Kommando.« Beitz schreibt ihm in einem knappen Antwortbrief, er werde sich niemals für ihn einsetzen. Wüpper »hat sich dann in seiner Zelle aufgehängt«.
    »MENSCH HILDE!«: WIEDERSEHEN IM SAAL 131 (1966)
    Rundtürme, meterdicke Mauern, Allegorien der Justitia, Drachenköpfe, Medusenhäupter: Das Bremer Landgericht stammt aus einer Zeit, als die Justizgebäude noch Macht und Anspruch, ja Anmaßung des wilhelminischen Staates demonstrierten. »Das Haus ist gewidmet dem Rechte zum Schutz – dem Boesen zum Trutz« – so steht es über der Ostertorfassade an dieser Trutzburg des Rechts. Von der Decke im Saal 131 blicken hölzerne Frauenköpfe auf das Geschehen herab, auf die Bänke der Richter, die harten, unbequemen Holzbänke, auf denen alle anderen sitzen: Zuschauer, Reporter und die Zeugen, Zeugen wie Hilde Olsen, ehemals Berger. Die Frauenköpfe haben unterschiedliche Mienen, als spiegelten sie all das wider, was sie hier im hohen Saal des Rechts gesehen haben: Leid und Schuld, Rechtfertigung und Verzweiflung, Erleichterung und Erlösung.
    Hilde Olsen glaubt nicht an Erlösung an diesem 25. August 1966, ihre entsetzlichen Erinnerungen haben sie über Jahre gequält. Die Zeugin, eigens aus New York angereist, ist schmal und klein, sie trägt ein rot-weiß gestreiftes Jerseykleid und dreht sich nicht zum Angeklagten um, der in ihrem Rücken sitzt, nahe der hohen Eingangstür. Fritz Hildebrand seinerseits, im korrekten grauen Anzug mit Krawatte, starrt nur auf seine Hände, auf die Bank oder zum Richter, so als gäbe es die Frau nicht, die ihm ein Vierteljahrhundert zuvor auf Gedeih und Verderb ausgeliefert gewesen ist. Er hat seine erste Strafe abgesessen und muss sich nun ein zweites Mal verantworten; immer neue Zeugen, immer neue Akten über weitere Straftaten in Polen belasten ihn schwer. Doch er hat auch diesmal auf alle Vorhaltungen hin erklärt, er sei unschuldig und habe sich menschlich verhalten.
    Landgerichtsdirektor Brademann fragt Hilde Olsen, ob sie im Angeklagten den SS -Lagerleiter Hildebrand aus Boryslaw erkenne. Sie wendet den Kopf, erstmals: »Ach, das ist er?« Aber ja, sie erkennt ihn. Auch wenn wenig an dem gebeugten, bleichen 63-Jährigen an jenen Mann erinnert, der einst als der »schöne Harry« galt; aber damals war er jung und entschied über das Schicksal anderer, doch nun wird über ihn gerichtet. Und es sieht, an diesem 19. Prozesstag, nicht gut aus für ihn, der sich an so wenig erinnern kann oder will.
    Hilde Olsen erinnert sich dafür umso besser, wenngleich ihre Aussage Hildebrand nicht direkt als Mordschützen belastet, wohl aber als Mitverantwortlichen für die Zustände im Lager. Sie berichtet mit leiser, aber fester Stimme. Nur einmal unterbricht sie sich und fragt zur Richterbank: »Man darf hier wohl nicht rauchen?« Brademann, der

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