Berthold Beitz (German Edition)
»Es war ein absoluter Sonderfall. Vorher, bei anderen Partnern, etwa den Amerikanern, mußte immer ein großes formales Brimborium eingehalten werden. Der Sonderstatus von Herrn Beitz hatte hier eine völlig andere Ebene geschaffen. … Der Ausstellungskatalog zum Beispiel war das erste Manuskript, das keiner Zensur unterlag. Das war unter DDR -Verhältnissen etwas ganz und gar Ungewöhnliches.«
Trotz aller Annäherung zwischen Beitz und Honecker: Es bleiben die Mühen der Ebene, auch bei der Dresden-Ausstellung 1986. In Essen führt Klaus Bachmann, der Korrespondent der DDR -Nachrichtenagentur ADN in der Bundesrepublik, ein langes Interview mit Beitz. Der aber will das Interview persönlich autorisieren, also erst nach Lektüre freigeben; das handhabt er immer so bei den seltenen Interviews, die er gibt. Es ist Ausdruck seines Wunsches, die Dinge zu kontrollieren, und damit eines Misstrauens, das auch der Presse gilt – egal, ob aus Ost oder West. Doch in diesem speziellen Fall liest und korrigiert ja nicht nur Beitz, sondern auch die ADN -Chefriege, die noch jeden Text auf Linientreue geprüft respektive hingebogen hat. Das Recht am eigenen Wort steht gegen das selbsterteilte Recht, die Wirklichkeit dem Wunsch entsprechend anzugleichen.
Bachmann entscheidet sich für völlige Ehrlichkeit dem Gesprächspartner gegenüber, und er hat eine Idee, die typisch ist für die gewundenen Wege, die DDR -Bürger oft gezwungenermaßen, aber auch mit Bauernschläue beschreiten müssen, um an der Obrigkeit vorbeizukommen. Bachmann bittet also Beitz, er möge Honecker zitieren, mit einem Satz, der sonst noch nirgendwo gestanden hat. Dann werde der Staatsratsvorsitzende das Gespräch persönlich absegnen, und niemand in der Zensurbürokratie der SED werde noch Einwände wagen. Beitz mustert den Reporter und lacht schließlich. Solche lebensklugen Tricks gefallen ihm. Also diktiert er: »Erich Honecker hat wörtlich zu mir gesagt: ›Da haben wir doch gemeinsam etwas zuwege gebracht, was wirklich vorbildlich auch zu Verständigung und Frieden beiträgt.‹« Die perfekte Honecker-Diktion, und sie verfehlt ihre Wirkung nicht. Der so Zitierte kritzelt »E. H.« an das Manuskript, und es wird in voller Schönheit erscheinen. Dem ADN -Korrespondenten Bachmann schildert Beitz darin seine Motive. »Die Ausstellung sagt: Egal, was einmal gewesen ist, was uns trennt, hier wird gezeigt, wie die Zukunft sein soll, wie sie sein kann, wenn der Frieden erhalten bleibt. So gesehen kann man ihren politischen Wert gar nicht hoch genug einschätzen.«
Wie so oft bei Beitz sind auch in seiner Beziehung zur DDR persönliche Erfahrungen und politische Überzeugungen eng verwoben. Wie so viele andere hat er 1945 seine Heimat verloren, doch er trägt die Welt seiner Herkunft im Herzen, auch wenn ihm über Jahrzehnte die Rückkehr verwehrt bleibt. Gleichwohl sieht Beitz Deutschland als ein Land, dessen natürlicher Zustand die Einheit ist und nicht das Nebeneinander zweier Teilstaaten, in denen man sich in den achtziger Jahren auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze recht behaglich eingerichtet hat.
Beitz ist ein Pionier der Entspannung gewesen, wobei er die früheren Ostgebiete als das betrachtet hat, was sie waren: als unwiderruflich verloren. Niemals würden die UdSSR oder gar die Polen die Grenzen von 1937 akzeptieren. Im Fall der DDR hegt Beitz andere Überzeugungen: Auf beiden Seiten des Todesstreifens leben die Menschen derselben Nation, man kann sie nicht auf Dauer künstlich trennen, wann und wie auch immer diese Trennung ein Ende haben wird. Also vertraut Beitz dem alten Gedanken Willy Brandts vom Wert der kleinen Schritte statt der großen, fruchtlosen Kontroversen, dem auch in seinem eigenen Wesen tief verwurzelten Gedanken des versöhnlichen Pragmatismus im Alltag.
Insofern ist es gar kein Widerspruch, dass Beitz ausgerechnet zu Erich Honecker ein freundliches Verhältnis aufbaut. Von einer Freundschaft hat er nie gesprochen: »Das wäre zu viel gesagt.« Aber bei den meisten seiner elf DDR -Reisen in den Jahren 1980 bis 1989 trifft er ihn, und mehrfach geht er mit ihm in der Schorfheide auf Pirsch. Eigens für Beitz lässt der Staatsratsvorsitzende den größten Hirsch des Reviers schonen, und der Förster sagt zu Beitz: »Der Chef will, dass Sie ihn schießen.« Abends liegt das erlegte Tier vor der Jagdhütte, und zwölf Jäger tragen Fackeln wie bei einem feudalen Jagdzeremoniell längst vergangener Epochen. Beitz »kann mit
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