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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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Honecker«, so wie er mit Cyrankiewicz oder dem Schah gekonnt hat. Das erspart ihm die inzwischen komplexen Netzwerke der innerdeutschen Beziehungen und erlaubt ihm Gespräche auf Augenhöhe. Beide Männer kommen aus einfachen Verhältnissen, beide waren Gegner des Nationalsozialismus.
    »Ich habe mich selbst gewundert«, sagt Beitz im Rückblick. »Merkwürdigerweise hat Erich Honecker, wie man so sagt, einen Narren an Berthold Beitz gefressen. Für ihn war ich eine Art Vorbild – ein Vorbild als guter Deutscher.« Beitz erklärt sich das mit Honeckers langen Haftjahren, mit denen der junge Kommunist Honecker für seinen Widerstand gegen das Dritte Reich hatte büßen müssen. Und der Kapitalist aus Essen, etwa im gleichen Alter, »war einer, der sich in der Nazizeit anständig benommen hat«. Auf dieser Basis verbindet beide noch eine Gemeinsamkeit, die auf Anhieb gar nicht so leicht zu erkennen ist: Patriotismus, so unterschiedlich er bei beiden auch aussieht.
    Honecker erkennt schon Ende der siebziger Jahre, dass ein Staat, noch dazu ein Teilstaat, der seine Wurzeln aggressiv verleugnet, ein gewaltiges, womöglich existenzgefährdendes Legitimationsproblem hat. Unter Ulbricht und der alten SED -Garde, anfangs auch noch unter Honecker, galten die Ostdeutschen als »sozialistische deutsche Nation«. Die Ideologen suchten die Gemeinsamkeiten mit der Bundesrepublik nicht, sie leugneten sie. Wo sich gemeinsame Traditionslinien hätten erkennen und pflegen lassen, wurden sie gekappt. Im Westen fand das durchaus seine Entsprechung: Der Widerstand gegen Hitler etwa hätte einen Grund geboten, auf dem beide Staatskonzepte hätten stehen können. Im Westen aber galt der opferreiche Kampf der KPD gegen Hitler als Phänomen, das man besser ignorierte; im Osten betrachteten die Ideologen die Offiziere des 20. Juli 1944 als »reaktionäre Offiziersclique« mit klassenfeindlichen Überzeugungen. Auschwitz galt als Problem der Westdeutschen, und Männer wie Berthold Beitz waren bloß »Vertreter der Monopole«.
    Unter dem späten Honecker ändert sich das – erst langsam, dann aber nachhaltig. Die DDR mag im Osten als ökonomische Macht gelten, aber tatsächlich hat sie den Anschluss an den Westen verloren. Jeden Tag sehen die Bürger im Westfernsehen eine Welt, die im krassen Gegensatz zu dem Bild steht, das die Staatspropaganda vermittelt. Die marxistische Utopie gerät für jedermann erkennbar zur ideologischen Bankrotterklärung. In dieser Situation, einer selbst verschuldeten Legitimationskrise, schreibt der Publizist Peter Bender völlig zu Recht, wagte Honecker »etwas, das vorher niemand in der SED -Führung gewagt hatte: Die DDR sollte deutscher werden.« Sie soll sich der Geschichte erinnern, so wie es die Polen, Tschechen und Ungarn ganz selbstverständlich tun. Das Mittel dazu ist, in der Sprache der DDR -Weltanschauungsplaner, das Konzept von »Erbe und Tradition«, definiert vom Chefideologen Kurt Hager: »Wir verstehen die Geschichte der sozialistischen DDR zugleich im Sinne einer Nationalgeschichte des deutschen Volkes«, wenngleich auch als deren »wichtigstes Kapitel«.
    Als Erbe gilt nun die gesamte deutsche Geschichte, als Tradition alles Positive, was seine Erfüllung in der DDR gefunden habe. Nun plötzlich ist das Hitler-Attentat von 1944 eine »Tat wahrer Patrioten«, wird Martin Luther in wohlwollendem Licht betrachtet, die Synagoge in der Oranienburger Straße zu Berlin rekonstruiert und das Reiterstandbild Friedrichs des Großen wieder auf den alten Platz Unter den Linden aufgestellt; ehrgebietend blickt der Preuße nun auf die Machtzentrale des sozialistischen Staates. Nun ist es auch möglich, den Kapitalisten von Krupp zu ehren und seine Rettungstaten im Dritten Reich zu loben, so wie in der Greifswalder Laudatio von 1983: »Das Haus, das die Familie Beitz in Boryslaw bewohnte, bezeichnen viele als die das Überleben sichernde ›Arche Noah‹ …«
    Mit einem Wort: Deutschland ist bei allen nach wie vor enormen Differenzen ein gemeinsamer Boden, auf dem sich Berthold Beitz und Erich Honecker bewegen. Wie die Zukunft aussehen soll, darüber hat jeder seine eigenen Vorstellungen. »Seid vorsichtig, eines Tages klopft der Sozialismus auch an Eure Tür! Und wenn der Tag kommt, dann steht die Frage der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vollkommen neu«, prophezeit Honecker den Westdeutschen 1984, was schon damals lächerlich wirkt angesichts des wenig attraktiven Staatswesens, dem er vorsteht.

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