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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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unversehrt geblieben. Jetzt aber, im Jahr 1989, sehen weite Teile der Stadt aus wie ein Trümmerfeld. Blinde Fenster, verfallende Jugendstilbauten, in der Langen Straße, die quer durch die Altstadt führt, soll ein Kran auf Schienen damit beginnen, die historischen Häuserzeilen links und rechts niederzureißen. Widerstand regt sich, Bürger protestieren gegen die Zerstörung ihrer Heimatstadt. Als Honecker im Juni 1989 persönlich zur Wiedereröffnung des Doms nach Greifswald fährt, haben die Kreisbehörden der SED ein wahres Potemkinsches Dorf errichtet. Die Fassaden verwahrloster, unbewohnter Häuser glänzen in frischer Farbe, und noch Jahre später wird man im Straßenbild die Route seiner Wagenkolonne erkennen können.
    Als Beitz die Nikolaikirche 1982 besuchte, war das stolze Gotteshaus, dessen Turm die Silhouette von Caspar David Friedrichs Greifswald-Gemälde sanft dominiert, eine bessere Ruine. Was einst in hellem Weiß glänzte, war nun schmutziggrau, der Fußboden aufgebrochen und unbegehbar. Als Beitz daraufhin Geld der Stiftung für die Sanierung in Aussicht stellte, waren die DDR -Behörden mit einem Projekt dieser Größenordnung überfordert. Es fehlte an Technikern und Arbeitskräften, die neue Fußbodenheizung kam schließlich aus Aachen. Im November 1986 war sie installiert. Anfang 1987 erhält Beitz einen Brief des dortigen Pfarramtes: »Wir haben also Heiligabend die Kirche benutzen können, und in der Gemeinde war darüber große Freude zu spüren. Auch an den Weihnachtsfeiertagen konnten wir im Dom bleiben; solange ich mich erinnere, war das vorher überhaupt nicht möglich. Wir haben also die warme Kirche sehr genossen.«
    Jetzt, im Juni 1989, sitzt Beitz in der zweiten Bankreihe der Nikolaikirche neben dem SPD -Politiker und schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm; schräg vor ihnen hat Honecker Platz genommen. Beim Gottesdienst dreht er sich zu ihnen um und fragt, in Anspielung auf die Bodenheizung des Doms: »Herr Beitz, sind Sie so fromm, dass Sie so etwas tun?« Worauf Beitz so spontan wie zweideutig antwortet: »Wer an den lieben Gott glaubt, muss auch warme Füße haben.«
    Engholm und Beitz sehen sich in der Kirche um. Sie ist bis auf den letzten Platz besetzt, in den Gängen und an den Wänden drängen sich die Menschen. So eine Stimmung hat Engholm noch nie in der DDR erlebt. »Die Leute«, erinnert sich Engholm später, »waren aufmüpfig, obwohl sie alle friedlich und fröhlich und eingestimmt waren auf den Gottesdienst! Es knisterte regelrecht. Beitz und ich haben uns angeguckt und gesagt, irgendetwas ist hier nicht in Ordnung. Das System stimmt nicht mehr, oder sie haben es nicht mehr unter Kontrolle.«
    Zu den Klängen der Orgel singen die Besucher das Lied »Ein’ feste Burg ist unser Gott«. Es wirkt fast wie ein »Kampfgesang«, denkt Engholm, der den Eindruck hat, als »schrumpfte Honecker buchstäblich in sich zusammen«, als ahne er, dass seine Zeit ablaufe. In den Kirchen der DDR ist die Opposition gegen das Regime gewachsen, und auch hier im Norden spüren die Kirchenoberen den Zorn der Basis – man hält sie für zu anpasserisch. Der Versuch der SED , Kirche und System an einem symbolträchtigen Ort zu versöhnen oder doch wenigstens harmonieren zu lassen, fällt somit nicht sehr überzeugend aus – obwohl niemand ahnt, wie wenig Zeit dem Regime tatsächlich noch beschieden ist.
    Anfang November 1989 weilt Beitz wieder einmal in Warschau, diesmal in der Delegation von Bundeskanzler Helmut Kohl. Einen Tag nach dem Fall der Mauer kehrt er nach Essen zurück und beobachtet die dramatischen Ereignisse im Fernsehen. Er freut sich, denn er hat immer geglaubt, dass Einheit und Freiheit zusammengehören. Dass dies zu seinen Lebzeiten geschehen sollte, lag indes jenseits seiner Vorstellungskraft. Jetzt aber fliegen seine Enkel aus New York nach Berlin und tanzen mit Abertausenden anderen Menschen auf der Mauer.
    Honecker stürzt tief, der Wind des Wandels hat ihn hinweggefegt; selbst die Genossen der Partei wenden sich ab. Als er nach der Behandlung seines Krebsleidens aus der Charité entlassen wird, hat er weder einen Wohnsitz noch ein eigenes Einkommen; Wandlitz, die Siedlung der Nomenklatura, ist geräumt, sein Konto gesperrt. Schon im Krankenhaus musste er sich gelegentlich eine Tasse Kaffee erbetteln. Nachdem er noch einige Zeit in Untersuchungshaft gesessen hat, kommt er schließlich bei der Lobetaler Pfarrersfamilie Holmer unter, »voller

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