Berthold Beitz (German Edition)
aber gibt es keine Krupp-Firmen mehr, die so viel verdienen würden, dass sie die Verluste von Rheinhausen auffangen könnten. Heute sagt Beitz: »Das Ende war einfach abzusehen. Es gab so viele Stahlwerke, die wachsende, billigere Konkurrenz aus dem Ausland, die Subventionen dort. Wir mussten handeln.« Er muss eine Lösung finden, und die hat nur Gerhard Cromme, der rückblickend meint: »Er [Beitz; J. K.]hätte die Entscheidung ja sofort kippen können. Aber er hat sich intuitiv gesagt: Der Kerl hat recht, es geht nicht anders.« Hier liegt der Schlüssel zum Verhältnis zweier sehr unterschiedlicher Männer, ein Verhältnis, das von da an über viele Jahre eng und vertrauensvoll sein wird, mögen sich auch viele darüber wundern. Beitz imponiert der Mut des Jüngeren, seine Entschlusskraft. Vielleicht erkennt er in Cromme ein wenig von sich selbst wieder, wie er – ein junger Außenseiter ohne ruhrtypischen »Stallgeruch« und ohne Ahnung vom Stahl, noch unbeirrt von Beziehungsnetzwerken und persönlichen Verpflichtungen – in den großen Konzern kam und auszumisten begann.
Und so steht er zu Cromme, durch den Aufstand der Stahlarbeiter hindurch. Tausend Feuer, Ofen aus: Das Szenario, das Helmut Laakmann und seine Mitstreiter nun entfachen, wäre für Alfried Krupp wie ein Blick ins Fegefeuer gewesen.
»AUGE UM AUGE!«:
AUFSTAND DER STAHLARBEITER (1987)
Am 9. Dezember 1987 drängt eine wütende Menge mit Fahnen und Transparenten (»Rheinhausen muß bleiben!«) durch die gepflegten Anlagen des Hügelparks. Die Arbeiter werfen Holzpaletten übereinander und zünden sie an. Sechs Meter hoch züngeln die Flammen vor dem Bau der Gründerfamilie. Derlei hatte nicht einmal die Rote Ruhrarmee im Jahr 1920 gewagt. Aber Laakmann hat den Funken gezündet: Auge um Auge. Und drinnen, in der Villa Hügel, schauen blasse Aufsichtsräte hinunter auf die wütenden Männer, die laut skandieren: »Wir haben nichts mehr zu verlieren, nicht mal unseren Arbeitsplatz!«
Die Huckinger Betriebsräte haben ihren Rheinhausener Kollegen Anfang Dezember die Stilllegungspläne heimlich gesteckt. Seither fühlen sich die Krupp’schen Stahlarbeiter verraten und verkauft, und ihr Zorn schlägt solche Funken, dass keine ökonomische Vernunft sie mehr erreicht. Rentabilität?, fragt einer von ihnen am Tresen der Kneipe »Ritzendiele«, wen kümmere das: »Der Kölner Dom iss auch nich rentabel, warum wird der nich abgerissen?« Es liegt eine traurige Ironie darin, dass sich die Arbeiter, die der Marxismus einst von ihren Ketten befreien wollte, nun so sehr mit dem Namen Krupp identifizieren, dem Inbegriff des Kapitalismus. Das Lebensgefühl, die Tradition, der Stolz, »Kruppianer« zu sein, all das hängt an dem großen Stahlwerk.
DGB -Chef Ernst Breit, mit anderen Spitzengewerkschaftern zur Villa Hügel gereist, um eine Eskalation zu verhindern, spricht ins Mikrofon; zu hören ist etwas von »Delegation bilden«. Doch die Arbeiter wollen nichts hören von Delegationen. Die Menge strömt zu den schweren Türen und drückt. Innen versuchen die blau uniformierten Werkschützer dagegenzuhalten, werden aber von den Demonstranten zur Seite gedrängt, diese stürmen in die Villa und stehen schließlich in der kalten Erhabenheit der unteren Halle mit ihren Ölbildern streng blickender Altvorderer und den dunklen Tapisserien. Für einen kurzen Moment herrscht Stille, dann brüllt einer: »Und dafür haben wir geschuftet.«
Ein Stockwerk über ihnen macht sich der Aufsichtsratsvorsitzende Beitz bereit, auch er überrascht von der Militanz der Protestierer. Aber er will sich nicht verstecken. Der Gewerkschafter Heinrich Grönhoff bittet ihn eindringlich: »Herr Beitz, kommen Sie runter, sprechen Sie mit den Leuten, ich komme mit Ihnen, und Ihnen tut kein Mensch was, keiner fasst Sie an.« Der engagierte Grönhoff, den Beitz gern den »Politruk« nennt, ist Arbeitnehmervertreter im Krupp-Aufsichtsrat und einer von jenen Gewerkschaftern, mit denen er schon immer gut ausgekommen ist. Gemeinsam gehen sie die Treppe hinunter, viele Arbeiter kommen ihnen entgegen und rufen. Was hat ihnen der große alte Mann von Krupp zu sagen? Oft war er auf ihrer Seite. Wird er Cromme bremsen?
Aber die Hoffnungen sind vergebens. Beitz hat sich entschlossen, Crommes Kurs zu unterstützen, und nichts wird ihn davon abbringen. Er sagt: »Ich kann nicht mit so vielen gleichzeitig reden.« So formt sich doch noch eine Delegation, aber auch ihr erklärt er nur, dies sei
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