Berthold Beitz (German Edition)
heute. Aber er strebt gern nach Höherem. Dabei, so Cromme, »haben alle, die ich gefragt habe, dringend abgeraten: Krupp-Stahl, haben sie gesagt, ist eine zu heiße Geschichte«.
Berthold Beitz muss 1986 tatsächlich einen neuen Chef für die Stahlsparte suchen, da ihm der alte auf denkbar unerfreuliche Weise abhanden gekommen ist. Mit Hilfe von Werner Resch, einem Aufsichtsratsmitglied bei Krupp-Stahl, hat Stahlchef Alfons Gödde 16 Millionen Mark durch dubiose Geschäfte veruntreut. Resch wiederum ist in den sechziger Jahren eine Entdeckung von Beitz gewesen, ein ehemaliger DDR -Zehnkämpfer, den er auf Sylt kennengelernt hatte. Gemeinsam sind sie dort lange am Strand spazieren gegangen; Beitz gefiel die direkte Art des Mannes und vielleicht auch der Respekt, den dieser ihm entgegenbrachte. Gefördert von Beitz, gelang Resch eine auffallend schnelle Karriere bei Krupp. Insofern ist es für Beitz ein schwerer Schlag, dass sich ausgerechnet Resch als Judas entpuppt; selten hat ihn sein berühmtes Bauchgefühl so im Stich gelassen. Resch soll in einem Düsseldorfer Nobellokal sogar geprahlt haben, er werde Beitz dereinst beerben. Wenn Beitz sagt, er sei auch »oft betrogen worden« und habe »nicht immer ein glückliches Händchen bei der Personalauswahl gehabt«, dann dürfte er vor allem an Resch und Gödde denken.
Dabei hat Gödde noch Anfang 1986 als Kandidat für einen Sitz im Krupp-Vorstand gegolten. Interne Recherchen bringen freilich bedenkliche Details ans Licht. Vorstandschef Wilhelm Scheider stellt fest, Gödde habe »im Rohstoffeinkauf Entscheidungen mit sehr nachteiligen Auswirkungen für die Krupp Stahl AG getroffen«, und regt in der Hauptversammlung an, die Entlastung von Gödde und Resch bis zum nächsten Jahr zu vertagen. Als Beitz in Vorstand und Aufsichtsrat eine lückenlose Aufklärung der Affäre fordert und Gödde zur Rede stellt, streitet der alles ab. Als Gödde dann Journalisten steckt, der Stiftungschef lege Wert »auf stille und folgenlose Beendigung der Vorgänge«, widerspricht ihm Beitz öffentlich. Gödde, ein wuchtiger Mann, stilisiert sich zunächst zum Opfer Krupp’scher Misswirtschaft. Über Beitz sagt er: »Der ist feige und viel naiver, als man glaubt.« Feige gegenüber einem Konzernvorstand, der nicht mehr sei als »eine Versammlung von Amateuren«. Der Löwe brüllt laut, aber nicht überzeugend.
Gödde, der sich bei seinen dubiosen Schwarzgeld-Transaktionen sogar seiner Nähe zu Beitz gebrüstet hat, muss später kleinlaut bekennen, dass dieser mit seinen Geschäften »schlicht nichts zu tun hatte«. Und Resch joggt nun nicht mehr an Sylts langen Stränden, sondern Tausende Runden im Hof der Dortmunder Haftanstalt. Er und Gödde werden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.
So ist die Lage, als sich Gerhard Cromme im Frühjahr 1986 in Essen bei Beitz vorstellt. Er ist der überzeugendste Kandidat. Die beiden Männer sind sich bald einig: Cromme soll Stahlchef werden. Das Gespräch nähert sich dem Ende, da hat Cromme noch eine Frage: Ob denn die Nachfolge von Herrn Scheider, dem Vorstandschef des Gesamtkonzerns, bereits geregelt sei? Als Beitz verneint, soll der selbstbewusste Gast der Firmenlegende zufolge gesagt haben: »Sehr gut, dann komme ich.« Cromme freilich legt im Rückblick großen Wert darauf, dass er sein Interesse am Chefsessel doch wesentlich dezenter formuliert habe, gibt aber auch zu: »Wenn Herr Beitz schon einen Kandidaten gehabt hätte, wäre ich gar nicht erst zu Krupp gekommen.« Das Ergebnis ist dasselbe: Beitz hat einen neuen Topmanager.
Leicht wird es nicht, so viel weiß Cromme. Was er dann aber in Essen vorfindet, ist ein Desaster. »Nach vier Wochen war mir schon klar, dass Krupp-Stahl eigentlich pleite war. Da gab es nun zwei Möglichkeiten: sich diskret von Krupp zu verabschieden oder das Problem anzugehen. Die zweite Variante liegt mir vom Typ her mehr.« Die Löcher lassen sich auch nicht mehr mit dem Geld aus dem Iran stopfen. Cromme: »Als ich hier 1986 ankam, war das Geld aus Teheran längst fort.«
Cromme ist ein kühler Rechner, und er weiß, dass seine Kalkulation schwer zu widerlegen ist: Mit Verlusten, die sich monatlich auf 15 bis 20 Millionen D-Mark summieren, droht Rheinhausen, das Hüttenwerk, den Konzern in den Abgrund zu ziehen. Trotzdem unterläuft ihm eine schwere Fehleinschätzung, als er noch im September 1987 ankündigt, der Standort Rheinhausen sei sicher. Mit dem Betriebsrat von Krupp-Stahl vereinbart er: Die Hütte
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