Berthold Beitz (German Edition)
der späteren Ansicht von Analysten hat er »ein gut gepflügtes, strategisch geschickt geordnetes Feld für die Fusion mit Thyssen bereitet«. Der Angriff auf Thyssen, den mehr als doppelt so großen Konzern aus Düsseldorf, ist aus Crommes Sicht eine Art Notwehr. »Es gab«, so erzählt er heute, »ökonomisch gar keine Alternative dazu, wenn wir überleben wollten, und es hatte ja schon viele Vorplanungen gegeben. Aber sie haben es einfach nie hingekriegt. Und ich dachte: Palavern nützt nichts, dann müssen wir es eben machen.« Zuvor muss Cromme allerdings noch einen überzeugen, ohne dessen Zustimmung nichts geht: Berthold Beitz.
Der Vertreter des Hauptaktionärs, der Stiftung, ist seit den Erfahrungen von 1966/67 alles andere als ein Freund der Banken und erst recht einer Verschuldung bei ihnen. Am 3. Februar 1997 unterrichtet ihn Cromme von seinen Plänen, auf die Beitz außerordentlich skeptisch reagiert. Zu Horst Dieter Marheineke, dem Olympia-Mitstreiter von 1972 und inzwischen neben dem Vorsitzenden Beitz Mitglied des Stiftungsvorstands, sagt er sogar, Cromme sei »ein hervorragender Mann«, doch frage er sich, ob dieser nicht »nach den bisherigen Erfolgen das Maß zu verlieren« drohe. Auch Beitz’ Freund und Stiftungskurator Hans Leussink äußert sich kritisch, und noch am 10. Februar 1997 sagt Beitz zu Marheineke, »er sei jetzt gegen das Vorhaben und wolle das Cromme auch sagen«. Seine Bedenken, außer der Sorge vor der Abhängigkeit von den Banken: Die Stiftung wäre nur noch Minderheitsaktionär, und die von Cromme versprochenen Synergien, die erste Frucht der Fusion, »bedeuten … letztlich den Abbau von Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet. Aber es besteht doch eine Verpflichtung, an das Wohl der Arbeiter zu denken.« Außerdem werde man sich »eine große Anzahl von Persönlichkeiten zu Feinden machen«.
Aber Cromme steht nicht allein, viele stützen ihn. Jürgen Rossberg etwa, ein alter Beitz-Mitarbeiter und damals Mitglied des Vorstands; heute sagt er: »Es war gut durchgerechnet. Mit Teilverkäufen hätten wir die Übernahme finanzieren können.« Cromme gibt daher nicht auf, und so trifft sich am 11. März 1997 ein neunköpfiger Geheimzirkel aus Firma und Stiftung in der Villa Hügel. Das Ziel: Eine grundsätzliche Aussprache über den Übernahmeplan. Cromme wirbt mit Verve für seine Idee: »Es handelt sich um den waghalsigsten und größten Schritt in der Nachkriegsgeschichte.« Es sei gelungen, »alle deutschen Geschäftsbanken für das Vorhaben zu gewinnen, alle seien darauf eingeschworen«. Gehe man diesen Schritt nicht, werde es »in drei, fünf oder zehn Jahren das Unternehmen Krupp nicht mehr geben«. Das Stahlproblem habe den Konzern in »existentielle Schwierigkeiten gebracht«. Nicht ohne Geschick fragt er: »Was wäre denn im Kopf von Alfried Krupp vorgegangen, wenn er vor dieser Situation gestanden hätte?«
Beitz, der anfangs ruhig zugehört hat, konfrontiert Cromme und die anderen Manager mit seinen Bedenken. Wird es zu Entlassungen kommen? Und wie »stellt sich ein Worst-Case-Scenario dar«, also die Abhängigkeit von den Banken? Er habe »bittere Erfahrungen« gerade mit der Deutschen Bank gemacht. Was wird mit der Stiftung, was mit der Dividende, von der sie lebt? Und was passiert, falls Thyssen die Arbeitnehmer mobilisiert? Cromme versucht, ihn zu beruhigen.
Noch am selben Tag, dem 11. März, ruft Beitz bei Johannes Rau an, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, dem er schon lange freundschaftlich verbunden ist. Er möchte Rau, der auch Kurator der Stiftung ist, dringend treffen. Mittags kommt er in das Büro des Landesvaters, der ihre Begegnung einige Zeit später so zusammenfassen wird: »Sodann unterrichtete mich Professor Beitz von den Überlegungen des Vorstands der Krupp Hoesch AG , die später Gegenstand öffentlicher Erörterungen und Auseinandersetzungen wurde. … Ich hielt solche Überlegungen für ›undenkbar‹ und erfuhr von Professor Beitz, daß auch er viele Aspekte für falsch und wenig aussichtsreich hielt.«
Beitz hat sich Rau ganz offenkundig mit all seinen Sorgen und Zweifeln anvertraut. Wenn der Ministerpräsident als Kurator die Zustimmung zum Angriff auf Thyssen verweigert, wird es für Cromme sehr schwer. Dieser hat gefordert, das Gremium solle möglichst schnell »grünes Licht« geben. Formal reicht dafür eine Mehrheit, doch ein abweichendes Votum des Landesvaters würde faktisch einem Veto gleichkommen. Beitz kündigt Rau »eine
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