Berthold Beitz (German Edition)
abfährt, greift Beitz zum Telefon und ruft Vogelsang an: »Wissen Sie eigentlich, dass Ihr Vorstandsvorsitzender eben bei mir war und uns kaufen will?«
Nach dem Fall der Mauer im selben Jahr erscheint es allerdings vielen noch dringender geboten, dass sich die deutsche Stahlindustrie »besser aufstellen« muss, wie man in Managementkreisen gern sagt. Die Grenzen öffnen sich, neue Konkurrenten drängen auf die Märkte. Spethmanns Nachfolger bei Thyssen wird nun jemand, der die Lektion von 1983 nicht vergessen hat: Heinz Kriwet. Und Ekkehard Schulz, Vorstandsvorsitzender der Thyssen Stahl AG, ist überzeugt, dass die Stahlfusion für beide Unternehmen eine Frage des Überlebens ist. Mit seinem alten Krupp-Partner Ulrich Middelmann, der inzwischen in den Vorstand des Essener Konzerns aufgerückt ist, plant Schulz in den frühen neunziger Jahren eine Reihe von Joint Ventures für Edelstahl, Elektrobleche und Weichblech. Das, so ihre Hoffnung, soll die Unternehmen auf eine mögliche spätere Stahlfusion vorbereiten.
Gegner dieses Projekts bei Thyssen sind nun ausgerechnet zwei Männer, die, wie immer man es bewertet, einmal bei Krupp gescheitert sind, oder anders gesagt: an Berthold Beitz. Günter Vogelsang hatte 1972 seinen Posten als Vorstandsvorsitzender von Krupp geräumt, weil ihm Beitz zu mächtig geworden war. Heinz Kriwet wiederum war dort im Jahr darauf nicht Stahlchef geworden, weil die Arbeitnehmerseite und Beitz ihn abgelehnt hatten. Nun ist er bei Thyssen Aufsichtsratsvorsitzender. Kriwets Haltung lässt sich mit einem an der Ruhr häufig kolportierten Wort zusammenfassen: Warum sollen wir mit denen bei Krupp fusionieren? Die fallen eines Tages um, und dann kriegen wir sie fast umsonst. Gerhard Cromme meint im Rückblick dazu: »Beide würden das nie so sagen – aber ich bin überzeugt, dass sie im Stillen gehofft haben, dass bei Beitz und Krupp mal richtig etwas schiefgeht.«
Also lassen sich Middelmann und Schulz einiges einfallen, unter anderem sogar eine Gamsjagd auf der Krupp’schen Jagd in Gerlos. Im Dezember 1996 soll Kriwet, auch er ein begeisterter Jäger, auf diese Weise umgarnt werden. Abends, so der Plan, wenn der Aufsichtsratschef den einen oder anderen kapitalen Bock erlegt hat und in zugänglicher Laune ist, wenn es Rotwein gibt und das Feuer im Kamin prasselt, wollen sie noch mal einen Annäherungsversuch wagen. Der Plan kostet einige Gemsen das Leben, scheitert aber dennoch trotz dieser aus waidmännischer Sicht schönen Erfolge. »Ich hätte es wissen müssen«, erinnert sich Schulz. »Kriwet ist Purist. Er merkte, das könnte gefährlich werden, und sagte: ›Also heute Abend feiern wir, und über das Geschäft reden wir morgen beim Frühstück!‹« Und beim Frühstück – »tja, da war nichts«. So leicht kriegen sie ihn nicht herum. Kriwet lehnt die Fusion weiterhin ab.
Das ist emotional erklärbar, aber nicht sehr vorausschauend. Die Welt an Rhein und Ruhr wandelt sich schnell. Die Globalisierung macht den Wettbewerb brutaler, mächtige Global Player tauchen auf den Märkten auf, die Russen, die Inder. Cromme hat dies erkannt: Aus zwei deutschen Stahlgrößen muss ein Stahlriese werden, sonst sterben sie jeder für sich. Selbst Krupp ist trotz der Fusion mit Hoesch 1992 allein nicht stark genug. Und Thyssen wäre, da sind sich die Beteiligten im Rückblick sicher, der erste Übernahmekandidat gewesen: Das Unternehmen hat nämlich keinen Ankeraktionär wie die Stiftung bei Krupp. Längst hat sich die Familie Thyssen weitgehend zurückgezogen, der Aktienbesitz ist sehr breit gestreut – das ideale Ziel für einen Aufkäufer mit Risikobereitschaft und viel Cash.
Über beides verfügt Ende 1996 Gerhard Cromme. Er hat zahlreiche Geldinstitute, allen voran die Deutsche Bank und Goldman Sachs, überzeugt, dem Krupp-Konzern Milliarden zu leihen. Mit dem Geld will er der Mehrheit der Thyssen-Aktionäre ein so attraktives Angebot machen, dass sie ihre Unternehmensanteile an Krupp verkaufen. Das klingt wahnwitzig, zumal in den neunziger Jahren. Noch gehört das hostile takeover, eine Übernahme gegen den Widerstand des Managements, zu den Ausnahmen in Deutschlands Wirtschaftswelt; wenig später, im Jahr 2000, sind Empörung und Schrecken entsprechend groß, als die britische vodafone den Traditionskonzern Mannesmann schluckt.
Mit Hilfe der Banken entwirft Cromme 1996 also den Geheimplan mit dem vielsagenden Namen »Hammer und Thor« zur Übernahme der Düsseldorfer Konkurrenz. Nach
Weitere Kostenlose Bücher