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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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sich hat; doch hätte das Ehepaar Beitz damals in Boryslaw wenig mit ihm anfangen können. Sie gehören nicht dem politischen Widerstand an und empfinden ihr Handeln auch nicht als solchen. Berthold Beitz ist zwar Feldwebel der Reserve und als Ölmanager dem Oberkommando des Heeres direkt unterstellt, hat aber keine Verbindung zur Militäropposition etwa des 20. Juli. Auffällig sind Ausmaß und Intensität der Rettungsaktionen des Ehepaars Beitz für Menschen, die ihnen persönlich oftmals völlig unbekannt sind. Beide sind nicht antisemitisch eingestellt, aber sie haben zu Juden bis dahin wenig Kontakt gehabt, und die Verfolgten von Boryslaw hat keiner von beiden vorher je zu Gesicht bekommen. Auf die »Begünstigung« von Juden stehen schwere Strafen. Konzentrationslager oder Tod wären die sichere Folge.
    Beitz erklärt seine Handlungen im Rückblick so: »Ich war kein Held, ich habe einfach als Mensch gehandelt.« Das ist der entscheidende Punkt: der menschliche Impuls, der immer drängender wird, je scheußlicher die Szenen sind, die er in Boryslaw erlebt: »Ich musste es einfach tun.« Was er dort sieht, schon beim Pogrom in den ersten Tagen der Besatzung, verstößt gegen alle Werte, mit denen er aufgewachsen ist, vor allem aber ist es eine spontane humane Reaktion. Er sieht verzweifelte, entrechtete, völlig unschuldige Menschen und empfindet mit ihnen: »Ich habe aber gar nicht viel nachgedacht, als ich versuchte, so viele Juden wie möglich für meinen Betrieb zu reklamieren und so zu retten. Nein, ich habe darüber eigentlich gar nicht nachgedacht. Ich habe spontan gehandelt, aus dem Gefühl heraus.« Noch etwas mag hinzukommen: »Wir waren sehr jung. Wäre ich älter gewesen, hätte ich vielleicht mehr über die Gefahr nachgedacht.«
    Spontaneität allein aber ist es nicht. Er ist innerlich frei genug, zu handeln und zu widerstehen, diese Freiheit ist die Quelle seiner Kraft. Er handelt instinktiv und rasch – gleichgültig wegzuschauen erlaubt ihm sein Gewissen nicht. Er hätte freilich, wie so viele andere, ein angewiderter Zuschauer sein können, der die Mordtaten missbilligt, sich aber mit hilfloser Geste abwendet: Was kann man schon tun?
    Beitz beweist, dass man sehr wohl etwas tun kann. Dabei geht es in vielen Fällen zu wie in einer antiken Tragödie: Schon morgen kann in Boryslaw die Rettungstat von heute umsonst gewesen sein, weil der eben noch vor dem Tod Bewahrte der SS erneut in die Hand fällt oder eine weitere »Aktion« beginnt. Helmrichs Tochter Cornelia Schmalz-Jacobsen wird später in einem Buch über ihre Eltern schreiben: »Die Geschichten der Geretteten und ihrer Rettung sind nicht so eindeutig oder gar so einfach, dass sie sich ohne weiteres einordnen oder etikettieren ließen.« Beitz wird in seinem langen Leben noch manches Mal wach liegen und sich fragen: »Hätte ich noch mehr Menschen retten können?« Es wäre wohl kaum möglich gewesen. »Aber die Frage treibt mich immer noch um«, sagt er heute. Es gibt so viele Leben, die er nicht retten kann in Boryslaw. Oft ist er erfolgreich, aber oft verspürt er auch eine furchtbare Ohnmacht gegenüber dem gewaltigen Vernichtungsapparat, der in dieser Welt ohne Gnade und Moral Tausende Menschenleben verschlingt. Ein Einzelner kann ihn nicht stoppen. Hätte er also mehr Menschen retten können? Welche Antwort gibt er sich? Kann man sich auf eine solche Frage überhaupt eine Antwort geben? Er sagt schlicht: »Ich stelle mir die Gegenfrage: Wo? Und wann? Ich bin doch an den Rand des Möglichen gegangen.« Er, Beitz, muss sogar etwas tun, wenn er nicht selbst das Vertrauen in das Leben verlieren will. Das Gefühl der Ohnmacht wäre für ihn unerträglich, schlimmer als das Wagnis, das er eingeht; die Hilflosigkeit würde ihn ein Leben lang begleiten als ständiger Selbstvorwurf, nicht gehandelt zu haben. Berthold Beitz handelt also, geschützt von einem inneren Panzer: »Ich musste innerlich sehr hart sein. Wenn ich zu sensibel gewesen wäre, wäre ich dort in Boryslaw verrückt geworden.« Verrückt geworden wäre er wohl, wenn er nichts getan hätte.
    Vielen Menschen geht es so, die im Dritten Reich unfreiwillige Zuschauer von Gräueltaten waren. In seinem erfolgreichen Roman Am grünen Strand der Spree schildert der Schriftsteller Hans Scholz 1955 vor dem Hintergrund der eigenen Kriegserfahrungen das Trauma eines Soldaten, der in Lettland Zeuge eines Massakers an Juden durch die SS -Einsatzgruppen wird und seine Erlebnisse

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