Berthold Beitz (German Edition)
des Möglichen gegangen: »Ein Fehler, und ich hätte niemandem mehr helfen können. Dann wäre ich ein toter Mann gewesen.«
Wie der Historiker Raul Hilberg feststellte, hatten »die humanitären Helfer äußerlich gesehen wenig gemeinsam«. Der Nazismus stieß sie ab, aber eine politische Überzeugung, welche sie geeint hätte, gab es nicht. Albert Battel, den Offizier und Retter von Przemyśl, trennten Welten von Valentin Beck, einem Volksdeutschen aus dem polnischen Zolkiew, der als notorischer Säufer, Schürzenjäger und sogar als Nazi galt und dennoch mehrere jüdische Familien in einem Keller über Jahre vor den Mördern verbarg. Den moralisch prinzipienfesten Menschen Berthold Beitz trennt vieles von Oskar Schindler, dem bekanntesten deutschen Judenretter, dem Glücksritter, Frauenheld und Parteimitglied, der doch die Stimme des Gewissens in sich entdeckte und dem mehr als 1200 Menschen ihr Leben verdanken. Unter ihnen war übrigens auch Beitz’ 1944 aus Boryslaw deportierte Sekretärin Hilde Berger, die sogar die berühmte Liste Schindlers getippt hat. Was sie aber alle eint, ist die Menschlichkeit unter einem Regime, das die Unmenschlichkeit auf seine Banner geschrieben hatte.
In ihrem beeindruckenden Bericht über ihre Eltern, das Ehepaar Helmrich, schreibt Cornelia Schmalz-Jacobsen über die Retter, die nach dem Wunsch der Gedenkstätte Yad Vashem »zu Helden des deutschen Volkes werden« sollten: »Daraus ist nichts geworden. Aber zu Helden oder gar zu Heiligen wollten sie selbst ja gar nicht gemacht werden. Doch eine Leitlinie für die nachwachsende Generation zu ziehen wäre sicher in ihrem Sinne gewesen.« Dass viele – und gerade die Überlebenden – nach Auschwitz nicht an der condition humaine verzweifelt sind, verdanken sie Menschen wie den Helmrichs und Berthold und Else Beitz. Für Helmut Schmidt, den früheren Bundeskanzler, ist deren Rettungsinitiative das Gegenstück zum Versagen so vieler: »Was beide in Polen auf sich genommen haben, ist eine ungeheure humanitäre Leistung – sie zeigt, wozu die Menschen auch im Guten fähig sind.«
»LAUFT IN DIE WÄLDER«: DAS ENDE 1944
Wahrscheinlich hätte Beitz schon seit Sommer 1943 ohne seinen Druck auf Hildebrand nicht mehr viel ausrichten können. So ist es ihm gelungen, mehr als 1200 Juden als echte oder angebliche Rüstungsarbeiter bei der Boryslawer Betriebsinspektion der Ölfirma durch das fürchterliche Jahr 1943 zu bringen. Im November jedoch spitzt sich die Lage weiter zu, als die Karpathen-Öl auf Druck der SS beginnt, »nach strengem Ermessen zu entscheiden, wer wirklich für uns als Fachkraft unersetzlich bzw. äußerst wichtig ist und wen wir evtl. abgeben können … Dies kann dazu führen, daß uns beispielsweise zwei Drittel genommen werden, ein Drittel, die aber besonders wichtig für uns sind, für uns um so sicherer sind.« Ähnliche Schritte erwarte man nun auch vom Direktor Beitz in Boryslaw. Dieses Schreiben ist typisch für die Kapitulation der Rüstungswirtschaft vor dem Vernichtungswillen des Regimes. Angesichts der zurückweichenden Ostfront hat die Ermordung der letzten überlebenden Juden Vorrang vor allen anderen Erwägungen – eben auch den ökonomischen. Für Beitz und seine Schutzbefohlenen ist diese Entwicklung eine Katastrophe. Der Kreis der Juden, den er »legal« noch zu schützen vermag, wird noch einmal deutlich kleiner, und auch seine eigene Lage wird nicht gerade dadurch besser, dass er tatsächlich sehr viele Menschen beschäftigt, die nicht das sind, für das er sie ausgegeben hat, nämlich unersetzliche Facharbeiter in der Ölproduktion. 384 von noch 1231 bei ihm beschäftigten Juden gelten fortan als »entbehrlich«; offenbar aber hat Beitz anschließend die Liste der bei ihm beschäftigten Juden systematisch verändert, »um ungelernte Arbeiter und Hilfskräfte auf dem Papier zu Facharbeitern zu befördern«.
Zu diesem Zeitpunkt ist Berthold Beitz’ Zeit in Boryslaw allerdings fast schon abgelaufen; doch solange er noch da ist, bleiben auch die »entbehrlichen« Juden aus dem Arbeitslager am Leben. Schon 1943 wäre er einmal beinahe an die Front eingezogen worden, im März 1944 ist es dann endgültig so weit. Die Wehrmacht, die nach den furchtbaren Verlusten an der Ostfront den Mangel an kampffähigen Männern zu spüren beginnt, durchkämmt nun die Unternehmen. Im Volksmund nennt man das »Heldenklau«, und der erwischt nun den Feldwebel der Reserve Berthold Beitz. Er hat es längst geahnt.
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