Berthold Beitz (German Edition)
Mitglieder des Judenrates.« Beitz hat aber erst lange nach dem Krieg von Helmrichs Taten erfahren.
Beide sind einsam in einer Welt ohne Recht und ohne Richter. Gewiss, Beitz hat seine Frau und Helfer im Büro wie Evelyn Döring. Aber es kommt auf ihn an, auf seine einsamen Entscheidungen, und weder die Einsamkeit noch die Entscheidungen kann ihm jemand abnehmen. Schon im Reich gibt es wenige Deutsche, die den Opfern helfen; weit mehr machen die Judenverfolgung aus Opportunismus oder Überzeugung mit. Die Haltung der meisten Deutschen zur Judenverfolgung ist von Gleichgültigkeit geprägt, »von der Bereitschaft«, so der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, »nicht an das Grauenhafte zu denken, Unerwünschtes nicht wahrzunehmen«. Unter den Besatzern in Boryslaw ist das noch weit schlimmer. Nicht Apathie und Verdrängung prägen die Mehrheit der Deutschen dort, nein, die meisten innerhalb des örtlichen Okkupationsregimes sind Teil des Mordapparates oder unterstützen ihn zumindest bewusst. Wenn Berthold und Else Beitz also, wie sie sagen, »einfach als Menschen handeln«, dürfen sie nicht auf Verbündete hoffen. Sie widersetzen sich einem Staat, der die Unmenschlichkeit zum System gemacht hat, müssen mit und unter Leuten leben, deren verrohtes Handeln und Denken sie nicht fassen können. Berthold Beitz hat weder damals noch später je begreifen können, was »ganz normale Männer« zu Mördern werden lässt: »Ich weiß es einfach nicht. Mit welcher Selbstverständlichkeit sie auf ihre Opfer schossen, mit welcher Leichtigkeit, ohne Gefühlsregung – als wären sie beim Tontaubenschießen. Ich fürchte, wenn man die Menschen loslässt, sind nicht wenige wie Raubtiere.«
Die Einsamkeit des Ehepaares in Boryslaw ist der Spiegel, in dem Schuld und Mitschuld so vieler anderer nur umso deutlicher zu erkennen sind. Die Erfahrungen, die Else und Berthold Beitz in Polen machen, sind das genaue Gegenteil dessen, was sich die Nachkriegsgesellschaft – durchaus in beiden Teilen Deutschlands – mehrheitlich einzureden versuchte: dass am Holocaust Hitler schuld war, die SS , »die Nazis«, eine kleine Minderheit.
Aber in Boryslaw stimmt das nicht. Da ist die Wehrmacht, die weder Kraft noch Mut hat, Pogrome zu unterbinden; im Gegenteil, viele Soldaten beteiligen sich gar, wie etwa jene, die in Boryslaw aus Spaß am Quälen jüdische Zwangsarbeiter dazu zwingen, von einer Brücke in flaches Wasser zu springen, wobei sich die meisten schwer verletzen. Da ist die Zivilverwaltung, die aktiv bei der Organisationeines beispiellosen Völkermordes mitwirkt, als sei die »Entjudung« von Stadtvierteln und Dörfern ein ganz normaler dienstlicher Vorgang im Amtsalltag. Da sind die Arbeitsbehörden, die ebenfalls zu Herren über Leben und Tod werden, denn wer nicht arbeiten kann oder darf, wird bald des Todes sein. Da sind deutsche Vorarbeiter in den Betrieben, die sich als Herrenmenschen gerieren und der SS bei der Menschenjagd helfen, deutsche Kollegen, die bei der Gestapo »Judenhelfer« anzeigen. Da ist die Schutzpolizei, eine Bezeichnung, die als grausame Farce erscheint angesichts der Mörder in Uniform, die das Recht bewahren sollten und es täglich mit Füßen treten. Da ist die Reichsbahn, welche die Opfer mit großem Aufwand fortschafft, am Ende noch vor der nahenden Front. Und da sind die Rüstungsbetriebe, die sich, wenn auch selten aus moralischen Gründen, in einem tatsächlichen Interessenkonflikt mit der SS und den anderen Vollstreckern der »Endlösung« befinden – nämlich durch den Wunsch, ihre jüdischen Facharbeiter zu behalten – und die doch am Ende fast immer nachgeben.
Natürlich haben nicht alle Beteiligten alles gewusst oder auch nur gebilligt. Kollektive Schuld gibt es nicht. Aber alle diese Institutionen des Besatzungsregimes zusammen bilden das gewaltige Räderwerk eines einer wahnhaften Ideologie entsprungenen, einzigartigen Völkermordes, wie der Historiker Eberhard Jäckel schreibt: »Nie zuvor hatte ein Staat beschlossen, eine von ihm bestimmte Menschengruppe einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und Säuglinge ohne jegliche Prüfung des einzelnen Falles möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluss mit nur allen möglichen Machtmitteln in die Tat umgesetzt.« Und nur wenige wagen es, sich dem Ganzen zu widersetzen.
Berthold und Else Beitz aber wagen genau das. Was sie getan haben, bezeichnen Historiker neuerdings als »Rettungswiderstand«. Es ist ein Begriff, der manches für
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