Berthold Beitz (German Edition)
und zwei Kinder hat, ein Auge auf die junge Frau wirft; sie ist eine attraktive Erscheinung mit dunklem Haar und hohen Wangenknochen. Er sieht sie einmal in Beitz’ Büro und sagt beim Abschied: »Mensch, Herr Beitz, da haben Sie aber eine hübsche Sekretärin. Kann man die mal treffen?« Beitz antwortet: »Lassen Sie das lieber bleiben, sie ist Jüdin.« Erst da fällt Hildebrand auf, dass Hilde Berger ja gar nicht die Armbinde mit dem Stern trägt, ein nach den Maßstäben der SS todeswürdiges Delikt. Der Untersturmführer könnte die Frau jetzt einfach mitnehmen und Beitz gleich dazu, und tatsächlich will Hildebrand Hilde Berger sofort verhaften. Aber Beitz überredet ihn, sie in Ruhe zu lassen: Er brauche sie unbedingt wegen ihrer Sprachkenntnisse. Und der SS -Mann gibt schließlich nach.
Es ist ein mörderisches Spiel, das Beitz mit der SS spielt, eines, in dem er sehr wenige Trümpfe besitzt und der Gegner die Regeln bestimmt, bar aller Werte, mit denen Berthold Beitz aufgewachsen ist. »Ich musste Hildebrand benutzen, wenn ich etwas für die Verfolgten erreichen wollte«, sagt Beitz. Sein Vertrauter Ehrlich schätzt, dass der Direktor allein über den Lagerchef mindestens 100 Juden vor dem Tod bewahrt hat. Allzu engen privaten Umgang mit Hildebrand, etwa gegenseitige Besuche, vermeidet Beitz, aber er spielt mit ihm Tennis und geht mit ihm zur Jagd, wobei er die Gelegenheit nutzt, sich für seine Schutzbefohlenen zu verwenden.
Tatsächlich ist die Todesrate im Zwangsarbeiterlager Boryslaw weit geringer als in anderen Arbeitslagern. Dennoch können jederzeit die SS , die Reiterstaffel oder Nemec’ Ukrainer auftauchen und eine der ständigen »Selektionen« beginnen. Dann durchsuchen sie das Lager nach »Arbeitsuntüchtigen« und nehmen jedes Mal etliche Juden mit. Beitz holt eine große Zahl von ihnen mit Hildebrands Hilfe – schließlich ist dieser der Kommandeur des Lagers – in letzter Minute zurück, bevor die Erschießungskommandos antreten. So ergeht es auch Emil Peter Ehrlich, Beitz’ Büroleiter, der sogar auf dem Betriebsgelände festgenommen und verschleppt wird, und Mina Horowitz, deren Kind ermordet wurde.
UNTER WÖLFEN: DIE EINSAMKEIT DES RETTERS
»Niemand hat Grund gehabt, (sich) über Ihr persönliches Vorgehen zu beklagen. Es ist eben eine Lebenskunst, immer nur Gutes zu schaffen und des anderen Unglück zu verstehen … speziell in einer Zeit, wo wir Menschen uns eher als Wölfe gegenüber treten.«
Die Kunst, das Unglück zu verstehen: Es ist ein großes Kompliment, das Leon Morski zwei Jahre nach dem Krieg Berthold Beitz ausspricht, in einem Brief aus Stettin. Morski, Bäcker bei der Karpathen-Öl, überlebt den Holocaust dank Beitz, und das Bild von den Wölfen ist ebenso traurig wie passend. Nicht nur die Opfer sind allein unter Wölfen, auch die Retter sind es ja.
Sie sind so allein, dass sie oft nicht einmal etwas von anderen Helfern wissen. Jeder behält sein Geheimnis für sich. Überall sind die Wölfe, keinem, fast keinem, kann man trauen. Berthold Beitz ist Teil der Karpathen-Öl, deren Management die jüdischen Rüstungsarbeiter schützen will. Was immer seine Vorgesetzten über seine Hilfsaktionen wissen mögen, er wird von ihnen nicht belangt. Sein Einsatz für die Verfolgten hat aber humanitäre Gründe, keine betriebswirtschaftlichen. Das Unternehmen ist ihm von Nutzen, aber kein Verbündeter. Also bleibt er allein. Beitz hatte mit dem deutschen Kreislandwirt Eberhard Helmrich zu tun, der in Drohobycz eine Gärtnerei betrieb und dort viele Juden rettete, indem er sie versteckte und aus der Stadt schleuste. Beide Männer saßen oft beieinander. »Wir redeten über dies und das«, sagt Beitz heute, »aber keiner von uns vertraute sich dem anderen an. Erst nach dem Krieg erfuhr ich, dass Helmrich zusammen mit seiner in Berlin lebenden Ehefrau Donata Rettungsaktionen für Juden durchgeführt hat. Misstrauen, Angst vor Denunziation verschlossen uns den Mund.« Else Beitz hat Helmrich erlebt »als besonnenen, sehr ruhigen Mann, der uns durch sein Schweigen vielleicht beide schützen wollte. Ich hatte den Eindruck, er lebte in einer Welt für sich.« Helmrichs Tochter, die FDP -Politikerin Cornelia Schmalz-Jacobsen, ist sich heute sicher, »dass mein Vater schon damals über Beitz’ politische Einstellung und dessen Rettungsanstrengungen genau Bescheid wusste, denn er hat schon sehr früh darüber gesprochen … Möglich, dass ihm andere davon erzählt haben, zum Beispiel
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