Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
Vom Netzwerk:
»Meinen Leuten habe ich gesagt: Haut ab, lauft in die Wälder.«
    Er ist durchaus im Bilde über das, was im Umfeld der Stadt geschieht. Längst nämlich haben die letzten Juden von Boryslaw begonnen, in unwegsameren Waldstücken getarnte Bunker und Höhlen anzulegen; teils bezahlen sie Polen für diese Arbeit. Keiner hegt mehr Illusionen über die Absicht der Besatzer, die Juden der Stadt möglichst vollständig zu ermorden. Zu denen, die in mühseliger Kleinarbeit einen solchen Bunker aus der Walderde schaufeln, gehört Janek Bander. Manchmal sieht er deutsche Patrouillen, die den Wald durchstreifen. Aber allzu intensiv, so stellt er zu seiner Erleichterung fest, sind die Nachforschungen nicht. Offenbar wissen die Verfolger nichts Konkretes über die geheimen Verstecke.
    Auch Salek Linhard hat sich in die Wälder abgesetzt, nachdem ihn sein volksdeutscher Chef in der Ölraffinerie schwer verprügelt hat. Das Verbrechen des Jungen: Er sollte dem Mann mittags Suppe bringen, stolperte aber über einen Stein und verschüttete den Teller. Als er den Hass in den Augen seines Peinigers sieht, geht Salek in die Wälder, er weiß, wohin. In Boryslaw, denkt er, wartet nichts als der Tod.
    Der Bunker ist noch nicht fertig, aber Salek bleibt als Einzigertrotzdem auch in den Nächten dort. Er kann nirgendwo mehr hin, ein halbwüchsiger Junge allein mit all seinen Ängsten unter dem weiten Sternenhimmel. Tagsüber hilft er, die raffiniert unter Baumstämmen getarnte Anlage weiter auszubauen. Dann jedoch kommt ein Freund aus Boryslaw mit einer Nachricht, und Salek glaubt, sein Herz bleibe stehen: »Die Gestapo hat deinen Vater verhaftet.«
    Ein zweites Mal zieht Salek Linhard los, um den Vater zu befreien. Die Freunde vom Bunker wollen ihn beinahe mit Gewalt zurückhalten: Jeder, der vom Versteck weiß und in die Hände der Nazis fällt, bringt das Leben aller anderen in Gefahr. »Bleib hier«, rufen sie, »es hat keinen Sinn! Du kannst ihn nicht mehr retten.« Es kümmert Salek nicht. Er läuft zwanzig Kilometer durch die Wälder nach Boryslaw und erreicht die Stadt bei Anbruch der Dunkelheit. Wenn einer helfen kann, denkt er, dann ist es Beitz.
    Salek geht vorsichtig durch die vertrauten und doch so gefährlichen Straßen. Jeder Bekannte kann ein Feind und Verräter sein, hinter jeder Hausecke können die Ukrainer lauern. Am frühen Morgen, als die Sonne schon am Himmel steht, gelangt er zum Haus der Familie Beitz und klopft hastig. Doch der Direktor ist bereits ins Büro gefahren. Else Beitz öffnet, und wieder, wie anderthalb Jahre zuvor, bittet Salek die junge Frau um Hilfe: »Die haben Vater verhaftet, und nur Ihr Mann kann ihm helfen.« Else Beitz sieht den Jungen traurig an, dann sagt sie: »Warte hier, ich rufe ihn an. Mehr kann ich leider nicht tun.« Salek steht im Vorraum und hört sie mit ihrem Mann sprechen, dann kommt sie zurück. »Hör zu, Salek: Er hat gesagt, er wird alles versuchen. Geh zurück dahin, wo du sicher bist.« Er werde eine Nachricht erhalten, sobald es möglich ist.
    Zwei Tage bleibt Salek bei seiner Schwester in Boryslaw, dann kommt Beitz’ jüdischer Buchhalter. Er sagt: »Ich komme im Auftrag von Herrn Beitz, es tut ihm sehr leid und mir auch. Dein Vater ist leider tot. Er lebte schon nicht mehr, als du nach Boryslaw kamst. Die Gestapo hat ihn mit nach Drohobycz genommen und dort erschossen.«
    So gehört Jitzhak Linhard zu jenen, die Berthold Beitz am Ende doch nicht retten konnte. Er hat ihn 1942 auf dem Sammelplatz am Bahnhof vor der Deportation bewahrt und später als Rüstungsarbeiter dem Zugriff der SS entzogen, aber am Ende hat es nicht gereicht. Doch was mit dem Vater misslingt, gelingt mit dem Sohn. Salek verdankt sein Leben dem deutschen Direktor, der 1942 vor der Halle am Bahnhof mit Nachdruck erklärt hat: »Der Junge da gehört zu mir.« Und eines sagt Salek bis heute voller Überzeugung: »Herr Beitz hat meinen Vater nicht retten können. Aber ich bin sicher: Er hat es versucht.«
    März 1944. Seine engsten Mitarbeiter, wie Evelyn Döring, lädt Beitz zum Abschied noch einmal in sein Haus ein. Es ist ein trauriger Abschied. Else fährt mit der kleinen Barbara zu den Schwiegereltern nach Greifswald, Beitz selbst muss zur Wehrmacht einrücken. Noch einige Wochen hängt sein Namensschild an der Bürotür. Und immer wieder fragen Hilfesuchende: »Wann kommt der Direktor zurück?« Immerhin ist er ja schon zweimal wiedergekommen, 1942 nach der Reise zur Gestapo und im Jahr darauf

Weitere Kostenlose Bücher