Berthold Beitz (German Edition)
sie 1950 nach Israel. Anna bleibt dort Pianistin, der Sohn wird Schiffsmakler im Hafen von Haifa und bereist die Meere. In den fünfziger Jahren dient Jurek als Grenzwache in Jerusalem, nahe der Hebräischen Universität. Er hat ein Gewehr, aber er liebt es nicht. Seine Gesundheit bleibt nach den Jahren der Entbehrungen angeschlagen. 2001 fährt er mit Larry Hiss nach Boryslaw in die Ukraine. Danutas Haus, von dessen Dachluke aus er Beitz’ Eingreifen auf dem Bahnhof beobachtet hat, steht noch. Der alte Garten ist verwahrlost, Autowracks stehen darin. Nichts erinnert an früher.
Das Schröder-Piano übersteht den Krieg, versteckt bei Krystyna Tympalska, und eine abenteuerliche Reise quer durch Europa und über das Mittelmeer. Jurek Rotenberg spielt noch immer darauf.
Der Aufstieg eines Unbescholtenen:
Kriegsende und Neubeginn
OSTFRONT 1945: FLUCHT AUS TIRSCHTIEGEL
Der alte Gutshof bei Tirschtiegel ist überfüllt, ein Feldlager der Geschlagenen: Soldaten und Zivilisten, darunter auch Berthold Beitz in einer verdreckten Uniform, entwaffnet und in der Gewalt der Roten Armee. »Wir lagen dort alle durcheinander: Soldaten von der Front und solche, die gerade aus dem Heimaturlaub gekommen waren, und auch Nazis waren dabei, richtige Goldfasane.« Als »Goldfasane« werden die NSDAP -Bonzen bezeichnet, wegen ihrer goldenen Knöpfe an der Uniform und ihrer Neigung, sich in sicherer Entfernung von der Front zu halten. Diese hier in Tirschtiegel (heute Triecziel, Polen) haben Pech.
Der Hof, in dem die Rotarmisten die gefangenen Deutschen wie menschliches Treibgut zusammengesperrt haben, liegt zwischen verschneiten Feldern und hat eine hohe Steinmauer. In der Ferne wummern die Geschütze, die Front weicht immer mehr zurück, nach Westen Richtung Oder. Die Stimmung ist denkbar bedrückt. Was wird nun aus ihnen werden? Einer, der sich nicht insein Schicksal fügen mag, ist Berthold Beitz. Um keinen Preis will er in sowjetische Gefangenschaft geraten, fremden Herren ausgeliefert und bestraft für ein mörderisches System, dem er sich doch verweigert hat. Nun muss er für sich selbst tun, was er drei Jahre lang für andere getan hat: sich nicht fügen, schnell und entschieden handeln.
Er denkt an Flucht. Wenn überhaupt, dann ist jetzt Gelegenheit dazu. Noch sind die deutschen Linien erreichbar, die Oder nicht weit entfernt. Sie wissen nicht, was die Russen mit ihnen vorhaben. Sicher ist nur: Wenn sie erst einmal nach Osten abtransportiert und in einem Gefangenenlager mit Wachtürmen und Stacheldraht eingesperrt werden, sind die Chancen zu entkommen nahe null. Er muss es jetzt wagen oder nie.
Berthold Beitz ist nach seiner Einberufung im April 1944 nach Berlin-Spandau versetzt worden. In der Heimat geben sich noch viele Soldaten Illusionen vom »Endsieg« hin. Beitz wusste, wie schnell die Rote Armee vorrückte, »daher stand für mich bereits fest, daß der Krieg verloren war«. Umso weniger möchte er noch Offizier werden, und mit Hilfe eines Freundes in der Wehrverwaltung verschwanden seine Unterlagen »in die falsche Ablage und waren nicht mehr auffindbar. So war ich denn bei Kriegsende 1945 noch genauso Feldwebel wie zu Kriegsbeginn 1939.«
Er ist erst wenige Tage in Berlin, als er mitten in einen Bombenangriff gerät. Beitz und einige Kameraden sind mit der Straßenbahn bis zum Bahnhof Zoo gefahren, als Luftalarm gegeben wird. Dann sehen sie die Lichter am Himmel. »Das waren die Mosquitos «, sagt Beitz, »schnelle britische Flugzeuge, welche die Leuchtzeichen gesetzt haben.« Oben, auf dem riesigen Flakbunker am Zoo, dröhnen die 8,8-cm-Kanonen, Scheinwerfer suchen den Himmel ab, der von den Leuchtzeichen gespenstisch erhellt wird, den »Christbäumen«, wie die Leute sagen. Sie markieren das Abwurffeld für die schweren Bomber, deren tiefes Brummen schon zu hören ist. Beitz und die anderen Soldaten helfen mit, Zivilisten in den Luftschutzbunker zu schaffen. Dann bebt der Boden, die Bomben schlagen irgendwo in der Stadt ein. Sie haben auch die Straßenbahnschienen getroffen, so dass Beitz schließlich den langen Weg nach Spandau zurücklaufen muss, durch eine vom Krieg gezeichnete, nächtliche Stadt. Noch vor Weihnachten wird das 67. Regiment der Wehrmacht, zu dem er gehört, nach Posen verlegt, in die Nähe der Ostfront.
Er bleibt nicht lange dort. Die militärische Lage des Reiches ist verzweifelt. An der überdehnten Ostfront bereitet die Rote Armee bei Jahresbeginn 1945 einen vernichtenden Schlag vor. Noch
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