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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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steht sie vor den Reichsgrenzen, entlang der Weichsel und in Ostpreußen. Der Generalstabschef des Heeres, General Hans Guderian, hat Hitler nach einer Inspektion seiner Verteidigungslinien gewarnt: »Die Ostfront ist wie ein Kartenhaus. Wird die Front an einer einzigen Stelle durchstoßen, so fällt sie zusammen.« Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht, dem Diktator hörig bis in die Wirklichkeitsverweigerung hinein, kanzeln Guderian ab.
    Am 12. Januar 1945 bricht der Sturm los. Im Schneetreiben stoßen zahllose sowjetische Panzer durch die deutschen Stellungen hindurch, von denen nach einem verheerenden Artilleriebombardement nur noch Trümmer geblieben sind. Innerhalb weniger Tage dringen die Russen durch Polen tief nach Westen vor. Eilig werden nun Beitz und seine Einheit nach Osten verlegt. Obgleich nur im Rang eines Feldwebels und militärisch unerfahren, befehligt Beitz bereits eine Kompanie. Zu viele Offiziere sind schon gefallen. Die Soldaten werden in Viehwaggons verladen und fahren nach Osten – mitten hinein in die Großoffensive der Roten Armee.
    Es ist eine Illusion, dass sie noch etwas ausrichten können. Doch mitten im Untergang geben sich viele Menschen Illusionen hin: jene, die nicht glauben wollen, dass der Feind tatsächlich nach Deutschland kommen werde; Soldaten, die auf »Wunderwaffen« hoffen, die nie kommen werden; oder jener Schlachtermeister in Tirschtiegel, der sich bis zuletzt an die Vorschriften und die Obrigkeit klammert. Beitz und seine Männer gehen durch den Ort, sie sind müde und hungrig. Die Front im Osten ist nah. Beitz betritt das Geschäft und bittet um etwas Fleisch und Speck.
    »Haben Sie Fleischkarten?«, fragt der Metzger.
    »Mensch, wir sind Soldaten und kommen aus Berlin. Wir haben alle Hunger. Woher sollen wir Fleischkarten haben?«
    »Es tut mir leid, dann kann ich nichts geben.«
    Kopfschüttelnd verlässt der Kompaniechef schließlich den Laden. In der Nacht kämpft seine Einheit erstmals gegen die vorstoßenden Russen und gerät unter schweren Beschuss. Es ist eiskalt, Beitz’ Soldaten haben mühsam Schützenlöcher in den kalten Boden Westpreußens gehackt. Sie stehen auf verlorenem Posten. Auf beiden Seiten brechen die Tanks der 2. sowjetischen Panzer-Gardearmee durch. Das vom Wehrmachtsbericht großsprecherisch als »Tirschtiegeler Riegel« gefeierte Grabensystem, das die örtliche Hitlerjugend schon seit Sommer 1944 errichtet hat, ist nutzlos gegen die Wucht des Angriffs. Die Befestigungen sind von Schneewehen bedeckt, die Linien der Verteidiger viel zu dünn. Auch Beitz und seine Kompanie ziehen sich zurück, und nicht mehr alle sind dabei.
    Der nächste Morgen. Wieder kommen die Soldaten an dem Schlachtergeschäft vorbei, nur diesmal aus der anderen Richtung. Aber jetzt steht ein Wagen mit angespannten Pferden davor, daneben eine Frau, die herzzerreißend weint. Die Schlachterfamilie lädt ihre Habseligkeiten auf und versucht, im allerletzten Augenblick, die Flucht nach Westen. Ihre Chancen stehen denkbar schlecht. Beitz kann es sich nicht verkneifen, den Mann zu fragen: »Na, und nun?« Der andere antwortet: »Ach, gehen Sie ruhig hinein. Sie können nehmen, was sie wollen.« Und Beitz sagt: »Also Jungs, ran.«
    Sie werden die Stärkung nötig haben. Einen Tag später schon rumpeln sowjetische Panzer durch Tirschtiegel, wo vor dem deutschen Überfall von 1939 ein Schlagbaum die deutsch-polnische Grenze markiert hat. Berthold Beitz gerät in Gefangenschaft und wird mit vielen anderen Deutschen in den Hof des alten Landgutes getrieben. Und eben hier sinnt er am zweiten Tag auf Flucht.
    Es ist dunkel geworden und sehr kalt. Eine Handvoll Männer wartet einen günstigen Augenblick ab. Dann klettern sie über die Hofmauer, springen auf der anderen Seite hinunter und rennen über die Felder um ihr Leben. Sie hören Schüsse. Vom Gutshof aus schießen Rotarmisten Leuchtkugeln in den dunklen Himmel und feuern auf die schemenhaften Gestalten, die dem Waldrand schon recht nahe sind. Berthold Beitz schafft es gerade noch und wirft sich zwischen die schützenden Bäume. »Neben mir war noch ein Leutnant rausgekommen. Aber er wurde leider getroffen. Er bekam einen Kopfschuss ab und war gleich tot.«
    Beitz hat keine Mütze, aber glücklicherweise eine dicke Winterjacke. Er verliert keine Zeit. »Tagsüber habe ich mich versteckt, nachts bin ich immer gelaufen, immer nach Westen.« Er läuft nicht allein, ein anderer Soldat hat es auch über die Mauer geschafft. Es

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