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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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stapften barfuß durch die Trümmerlandschaft der Stadt, schufteten im Walzwerk bis an den Rand der Erschöpfung, hausten in Baracken voller Ungeziefer. Was in Essen geschah, war nur ein winziger Mosaikstein eines gewaltigen Bildes, das zeigt, wie das Deutsche Reich und die überwältigende Mehrzahl seiner Unternehmen mehr als acht Millionen Bewohner der unterjochten Länder als Zwangsarbeiter in der Kriegswirtschaft ausbeuteten. Das Gros stellten zunächst Kriegsgefangene und verschleppte Arbeiter aus den Besatzungsgebieten. Erst in der Spätphase des Krieges, als der Arbeitskräftemangel immer dramatischer wurde, zog man auch viele Juden aus den Konzentrationslagern heran. Das änderte freilich nichts am Hauptziel des Regimes, so viele Juden wie möglich zu ermorden. Aus dieser widersprüchlichen Gemengelage entstand der Begriff der »Vernichtung durch Arbeit«, und obwohl es selbst in der Logik der moralisch enthemmten Kriegsplanung sinnlos war, Arbeitskräfte zu ermorden, entsprachen die Zustände in den Arbeitslagern für jüdische KZ -Häftlinge nur zu genau diesem Wort.
    Das Lager in der Essener Humboldtstraße war klein und nur eines von über 1000 sogenannten KZ -Außenlagern mitten in deutschen Städten und Dörfern. Ihre Insassen wurden von der SS bewacht, die auch den Lohn einkassierte, den die Firmen abführten. Wirklich profitiert hat Krupp von den 520 entkräfteten jüdischen Frauen, die harte Männerarbeit leisten mussten, wohl kaum. Im Werk arbeiteten Zehntausende Menschen, darunter Anfang 1945 mehr als 12 000 Kriegsgefangene oder verschleppte Zivilarbeiter.
    Der Historiker Ulrich Herbert, der beste deutsche Kenner der Zwangsarbeiter-Materie, schreibt über die Rolle des Essener Konzerns: »Mit einiger historischer Distanz verliert Krupp diese Aura des ganz besonders Verwerflichen. Und es stellt sich heraus, dass sich Krupp in seinem Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat und in seinen kriegswirtschaftlichen Aktivitäten gar nicht von anderen deutschen Großbetrieben unterschied.« Umgekehrt war Krupp natürlich auch nicht besser als die anderen. Die Personalleitung des Unternehmens hatte im Juli 1944 bei der SS Häftlinge aus Konzentrationslagern angefordert, allerdings primär Männer und wohl kaum jene »zarten, feingliedrigen Geschöpfe«, die der darüber verärgerte Krupp-Beauftragte Walter Trockel bei einer ersten Besichtigung der unfreiwilligen Arbeitskräfte vorfand.
    Die Arbeit im Werk war sehr schwer. Nicht nur das Wachpersonal der SS , auch manche Betriebsleiter und Beschäftigte von Krupp schikanierten und misshandelten die ungarischen Arbeiterinnen. Ein besonders berüchtigter Peiniger im Walzwerk ließ es nicht zu, dass sich die in der Winterkälte frierenden Arbeitssklavinnen aufwärmten. Andere Arbeiter und Nachbarn des Lagers aber halfen ihnen, steckten ihnen Essen oder Kleidungsstücke zu, mehrere versteckten sogar geflüchtete Jüdinnen.
    Im März 1945 gelang auch Rose Szego die Flucht, als britische Flugzeuge einmal mehr nachts die Werke bombardierten. Ein Bauer nahm sie auf. Nach langen Irrwegen fand sie ihren Mann wieder, 1946 brachte sie noch einen Sohn zur Welt. Die Familie emigrierte 1957 nach Kanada. Zur Weihnachtszeit 1959 liest Rose Szego nun in der Zeitung, dass sich die Firma Krupp mit der Jewish Claims Conference darauf verständigt hat, sechs Millionen Mark an ehemalige jüdische Zwangsarbeiter zu zahlen. Ausgehandelt hat dies ein Mann, dessen Namen sie bis dahin wohl noch nie gehört hat: Berthold Beitz.
    Vier Jahre zuvor, Essen 1955. Die bundesdeutschen Unternehmen können sich der Einsicht nicht länger erwehren, dass ihre Rolle während des Krieges, vor allem die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, nicht folgenlos bleiben wird. Während das Ganze für die ehemaligen Zwangsarbeiter und ihre Vertreter eine klare Angelegenheit von Schuld und Sühne ist, will die deutsche Seite in den fünfziger Jahren von Sühne nichts wissen und gesteht Schuld, wenn überhaupt, nur in kleinsten Dosen ein. Die Zwangsarbeiter und vor allem die überwiegend jüdischen KZ -Häftlinge unter ihnen blicken auf ein grauenvolles Schicksal zurück; die deutsche Gesellschaft aber wird noch Jahrzehnte brauchen, bis sie dieses Schicksal überhaupt in seinem ganzen Ausmaß begreift.
    Mitte der fünfziger Jahre jedenfalls verlangen immer mehr einstige Opfer Entschädigung von jenen Firmen, bei denen sie hatten schuften müssen. Die deutsche Industrie baut eine Abwehrfront auf, nach deren Logik

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