Berthold Beitz (German Edition)
aller Welt sollten wir denn Kanonen produzieren? Schauen Sie doch unsere zivilen Aufträge an. Und nebenbei: Welcher Krieg würde heute noch mit Kanonen ausgetragen?«
Beitz trägt diese Botschaft um die Welt: Krupp ist kein Händler des Todes mehr. »Was immer geschehen mag, ob wir wachsen oder uns auf Geschäftsfelder konzentrieren«, sagt er einmal, »eines ist sicher: Wir werden niemals wieder Waffen in unsere Produktpalette aufnehmen.«
Für das Image des Unternehmens ist der neue Kurs Gold wert. Ohne ihn wäre Beitz niemals in der Lage gewesen, sich als gern gesehener Gast und als Vorreiter der Entspannungspolitik in den Staaten des Ostblocks zu bewegen. Beitz selbst, der sich stets darauf versteht, große Entscheidungen in griffige Bilder zu fassen, zeigt 1958 auf der Hannover-Messe dem stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Anastas Mikojan das Bild seiner neugeborenen Tochter Bettina und erklärt dazu: »Ich bin für Kinder statt Kanonen.«
Die Entscheidung gegen die Rüstungsproduktion ist in ihrer ganzen Tragweite oft unterschätzt worden. Krupp hat durch sie auf lukrative, langfristige Märkte verzichtet. Dabei wäre die Entscheidung für die Rüstungsproduktion politisch leichter und weniger umstritten gewesen als je zuvor: Immerhin hätte es gegolten, das Bündnis der westlichen Welt gegen den Kommunismus mit Waffen zu beliefern, und der Segen aus Bonn wäre dem Geschäft sicher gewesen. Getroffen aber hat die Entscheidung der Inhaber selbst. Über seine Motive spricht er kaum. Beitz jedoch weiß, dass dies Alfried Krupps Weg ist, sich von seiner Vergangenheit zu lösen, von jenen unseligen Monaten gegen Kriegsende, als er den Konzern führte. Er mag ein König im Stahlrevier sein, aber kein König der Kanonen mehr.
GEGEN ALLE WIDERSTÄNDE:
BERTHOLD BEITZ UND DIE ENTSCHÄDIGUNG
FÜR JÜDISCHE KZ-HÄFTLINGE (1959)
Als Rose Szego nach Essen kam, hatte sich ihr Leben bereits in einen Albtraum verwandelt. Sie stammte aus Tapolca in Ungarn, aus einer jüdischen Familie. Das Land war zwar mit dem Deutschen Reich verbündet, hatte seine große jüdische Minderheit aber weitgehend unbehelligt gelassen. Das alles änderte sich dramatisch im Frühjahr 1944, als die Wehrmacht Ungarn besetzte, unterstützt von der faschistischen »Pfeilkreuzler«-Bewegung des Landes. SS -Leute verschleppten Rose Szego und ihre beiden Kinder Susanne und Thomas zunächst ins Budapester Ghetto. »Wir haben dort einen Monat auf der Erde gelebt«, schrieb sie viel später, 1991, an den Essener Historiker Ernst Schmidt, der ihre Spur in Kanada gefunden hatte. Doch das war nur der Anfang. Tag für Tag wich die deutsche Front im Osten zurück, zu spät aber für die Familie Szego. Die SS räumte das Ghetto, und die Maschinerie der Vernichtung lief weiter, mit deutscher Präzision. Fünf Tage lang fuhr der Güterzug. Es war eine Reise in den Tod. An der Rampe in Auschwitz sah Rose Szego den berüchtigten Arzt Josef Mengele, der die Selektion der verängstigten und entkräfteten Opfer persönlich überwachte. Es war der 21. Mai 1944. An diesem Tag sah Rose Szego ihre Kinder zum letzten Mal.
Die SS ließ die traumatisierte Mutter kahl scheren und bald wieder abtransportieren. Sie galt als »arbeitsfähig«. Über das Konzentrationslager Buchenwald kam sie im August 1944 nach Essen, zu Krupp, ins Zwangsarbeiterlager an der Humboldtstraße, bewacht von der SS . Inzwischen waren die Alliierten in der Normandie gelandet, hatte die Rote Armee im Osten die Heeresgruppe Mitte zertrümmert. Doch im Walzwerk II lief die Kriegsproduktion noch immer auf Hochtouren. Jeden Tag ging Rose Szego mit den anderen dorthin, mitten durch die Stadt. Es wurde Herbst, es war kalt. Als sie sich beklagte, weil sie keine Schuhe mehr hatte, verprügelten die Wächter sie mit dem Stock.
Als Alfried Krupp 1947 auf der Anklagebank des Nürnberger Justizgebäudes saß, sprach das Gericht ihn vom Vorwurf des Angriffskriegs und der Verschwörung mit dem NS -Regime frei. Verurteilt wurde er hauptsächlich wegen etwas anderem: der »Sklavenarbeit« und der »Plünderung«. Und es war besonders das Schicksal von 520 Jüdinnen aus Ungarn, darunter Rose Szego, das zu den zwölf Jahren Haftstrafe beitrug. Das Gericht ging davon aus, dass die meisten der Frauen umgekommen seien – ein folgenschwerer Irrtum, wie sich noch zeigen sollte.
Das Los der ungarischen Zwangsarbeiterinnen war hart und oft grausam. Rose Szegos Leidensweg ist nur einer von vielen. Sie
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