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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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sie eigentlich gar nichts dafür gekonnt habe, dass sie Zwangsarbeiter beschäftigte: Das Regime habe sie vielmehr dazu gezwungen. Man stützt sich überdies auf eine juristische Krücke, die sich dem Londoner Schuldenabkommen von 1952 verdankt: Im totalitären Staat, heißt es, habe sich die Industrie der Vereinnahmung durch die Diktatur nicht erwehren können, also unter Zwang als »Agentur« der NS -Regierung gehandelt. Damit sind Wiedergutmachungsansprüche Sache der Bundesrepublik Deutschland, des juristischen Nachfolgers des Deutschen Reiches.
    Im selben Jahr aber, 1953, gelingt Norbert Wollheim, einem früheren Zwangsarbeiter der IG Farben in Auschwitz, ein juristischer Durchbruch. Das Landgericht Frankfurt erkennt ihm Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Nachdem sich das Wollheim-Verfahren trotzdem noch jahrelang hinzieht, kommt es 1957 zu einem viel beachteten Vergleich. Dieser bestätigt zwar die eben erwähnte Theorie, wonach sich Unternehmen den Vorgaben der staatlichen Rüstungskontrolle nicht entziehen konnten, auch nicht bei der Zuweisung von Arbeitskräften. Andererseits, so das Landgericht, lasse das nicht den Schluss zu, dass sich die betreffenden Firmen nicht um das Wohl der Zwangsarbeiter kümmern mussten.
    In der deutschen Industrie bricht ein Sturm der Entrüstung los. Die Wirtschaftszeitungen warnen vor »einem neuen Kollektivschuldprozess«, so als hätten die ehemaligen KZ -Häftlinge den Firmen ein Leid angetan und nicht umgekehrt. Gustav Stein, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie ( BDI ), schreibt 1956 ans Kanzleramt, er befürchte, »daß ein gefährliches Präjudiz für die gesamte deutsche Wirtschaft geschaffen wird … an erster Stelle kommt wohl Krupp in Frage«.
    Berthold Beitz hat eine andere Sicht der Dinge. Er hat selbst erleben müssen, was es bedeutet, wenn Menschen zu Sklaven werden, zu rechtlosen Objekten, hilflos einem bösen Willen ausgeliefert. Er hat dagegen angekämpft und dabei sein Leben riskiert – für seine Beschäftigten in Galizien bedeutete die Arbeit im Ölbetrieb die Rettung. Und so ist er es, der Alfried Krupp nahelegt, zu zahlen, als erste Forderungen laut werden. »Meine Erlebnisse in Polen sind natürlich der Hintergrund dieser Entscheidung gewesen«, sagt er heute, »ich dachte: Mehr können wir leider nicht tun, wir können die ermordeten Menschen ja nicht mehr lebendig machen.«
    Beitz ergreift die Initiative, als John J. McCloy, der inzwischen als Bankpräsident arbeitet, einen Brief an Alfried Krupp schreibt. McCloy, der als Alliierter Hochkommissar Krupp begnadigt hat, legt diesem nahe, von sich aus die ehemaligen KZ -Häftlinge zu entschädigen, »damit die deutsche Industrie ihren guten Namen in der Welt dadurch behalten möge, daß sie alles tut, was billig und gerecht erscheint, um die Auswüchse des Naziregimes wiedergutzumachen«. Ein Freund, Jacob Blaustein, der Vizepräsident der Jewish Claims Conference ( JCC ), hat McCloy um Hilfe gebeten. Zu diesem Zeitpunkt haben schon fast 400 Juden Entschädigungsansprüche bei der Firma Krupp angemeldet.
    Im September 1958 fliegt Beitz nach New York, wo er auch McCloy trifft. Er bringt gute Nachrichten mit: Krupp sei zahlungswillig. Es klingt, als sei der Durchbruch bereits geschafft. Die Firma Fried. Krupp ist demnach bereit, ehemalige jüdische KZ -Häftlinge zu entschädigen. Gleichzeitig entwerfen die Konzernjuristen einen Vorschlag, wie das zu geschehen habe: Blaupause ist das Abkommen über die Zahlung von 30 Millionen Mark an frühere jüdische Sklavenarbeiter aus den Konzentrationslagern, das die IG Farben schließlich mit der Jewish Claims Conference nach dem Fall Wollheim geschlossen hat. Freilich haben sich Beitz und McCloy auf eines verständigt: Krupp zahlt im Gegensatz zur IG Farben freiwillig und aus eigener Initiative.
    Bis es so weit kommt, dauert es noch. Die Schwierigkeiten häufen sich. Nach wie vor liegen die Positionen der Verhandlungspartner weit auseinander, viel zu weit gewiss aus Sicht der jüdischen Seite. Für die Opfer und ihre Vertreter ist eine Entschädigung eine moralische Selbstverständlichkeit. »Wiedergutmachung« im Sinne des Wortes könnten selbst höhere Zahlungen nicht leisten, denn das, was diesen Menschen widerfahren ist, lässt sich nicht wiedergutmachen. Mit anderen Worten: Sie fordern nur ihr Recht.
    Was in den USA so klar erscheint, ist in Deutschland alles andere als selbstverständlich. Beitz hat dementsprechend

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