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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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durchzusetzen.
    Beitz’ Lage ist alles andere als einfach. Er muss die Interessen Alfried Krupps vertreten, dem Druck der Bundesregierung und des BDI standhalten und noch dazu die eigenen Hausjuristen zügeln, die auf die Bremse treten und ihn dringend auffordern, erst das Urteil des Bundesgerichtshofs abzuwarten. Daher der Brief an Katzenstein, der aber nicht mehr ist als ein kurzer Aufschub. Denn Beitz will am Ende doch nicht auf den BGH warten. Im November 1959 reist er nach New York, zu Nahum Goldmann, dem Präsidenten der JCC . Er will eine Einigung, und er will sie bald.
    Das Vorgehen in der Entschädigungsfrage und mehr noch seine Visite bei Goldmann sind bezeichnend für die Art und Weise, in der Berthold Beitz Entscheidungen fällt und durchsetzt, gleichgültig, wie verzwickt die Einwände, wie kompliziert die Streitigkeiten um Paragraphen oder wie einflussreich seine Gegner sind. Er folgt seinem Instinkt – dem Instinkt, das Richtige zu tun und dabei vielen anderen an Entschlusskraft und Willensstärke überlegen zu sein. Er weiß, was die Opfer erlitten haben. Er weiß, dass es moralisch geboten ist, den Überlebenden zu helfen. Er weiß zudem, dass die Zahlungen auch dem Konzern und seinem Image nur nutzen können, genauso wie ihm eine Weigerung schaden würde. Und er entscheidet statt durch Gremien und Rechtsabteilungen viel lieber im Gespräch mit einem Gegenüber, dem er persönlich vertraut. Nahum Goldmann, 1895 in Weißrussland geboren und mit fünf Jahren nach Deutschland gekommen, war rechtzeitig vor den Nazis geflüchtet, ist Mitbegründer der Jewish Agency, Präsident des World Jewish Congress und maßgeblich am Wiedergutmachungsabkommen zwischen Israel, der Jewish Claims Conference und der Bundesrepublik 1952 beteiligt gewesen. Beitz hat ihn bei dessen Deutschlandvisiten mehrfach zum Abendessengetroffen, gelegentlich sogar im Skiurlaub. »Nahum Goldmann«, so Beitz, »war ein sympathischer Mann, und er hatte das Gespür für die Situation in Deutschland. Wir hatten ein gutes Verhältnis.«
    Beitz umgeht die Frage, ob und inwieweit die Entschädigung durch Krupp die deutsche Industrie unter Zugzwang setzt oder ob sich Ansprüche nun gegen den deutschen Staat oder die Unternehmen selbst richten, indem er die Verantwortung von Krupp rein moralisch definiert. Alleininhaber Alfried Krupp, so heißt es in der Firmenzeitschrift, habe sich »zu diesem Abkommen entschlossen, um persönlich dazu beizutragen, die durch den Krieg geschlagenen Wunden vernarben zu lassen«. Für ihn bedeutet das Abkommen nach eigener Aussage »keine Anerkennung einer Rechtsverbindlichkeit«. Im Gegenzug wird Krupp von weiteren Ansprüchen freigestellt. Beitz geht zunächst von sechs Millionen Mark aus, lässt aber einen Spielraum bis zehn Millionen zu. Einen Tag vor Weihnachten 1959 unterzeichnen die Jewish Claims Conference und Krupp ein Entschädigungsabkommen.
    Es entbehrt nicht der Tragik, dass dieses Abkommen nicht die Anerkennung erfahren wird, die es angesichts der Zeitumstände verdient hätte. Zum ersten Mal leistet ein deutsches Unternehmen, noch dazu der nach wie vor argwöhnisch betrachtete Krupp-Konzern, von sich aus Zahlungen. Wichtiger noch als die 1959 nicht unbeträchtliche Summe von zehn Millionen Mark ist das moralische Schuldeingeständnis, welches das Abkommen darstellt und das die überwältigende Mehrheit der Unternehmer, die vor 1945 Zwangsarbeiter beschäftigten, hartherzig und rundweg ablehnt. Ohne Beitz hätte wohl auch Krupp zu den Verweigerern gehört: Bei einer Besprechung mehrerer Bundesministerien, des Kanzleramts und des BDI im Mai 1953 hatte ein Krupp-Vertreter ausgeführt, »daß die gesamte Industrie nur Werkzeug des Staates gewesen ist«, man folglich unschuldig sei und nicht zahlen müsse.
    Es ist dies die Zeit, in der das Interesse an der Strafverfolgung von Naziverbrechern spürbar nachlässt. Es ist die Zeit der Vergesslichkeit, der Verdrängung, der »Unfähigkeit zu trauern«, wie sie das Psychologenpaar Mitscherlich vielen Deutschen diagnostiziert. Es sind die Jahre, in der weite Teile der deutschen Gesellschaft, keineswegs nur die Industrie, ihre Verstrickung in das Naziregime damit rechtfertigen, man sei gezwungen worden oder habe doch nur »seine Pflicht getan«. Zudem wird die Zwangsarbeit selbst von Wohlmeinenden eher als Bagatelle missverstanden, verglichen mit Massenmord und Genozid, den Schlachten des Krieges und den Bombennächten. Dass Gefangene arbeiten müssen, habe es

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