Berthold Beitz (German Edition)
unseres Landes tätig. Bei uns bessert sich alles von Tag zu Tag, das Land heilt die schweren Wunden, die ihm der Krieg gebracht hat.« Schließlich gibt er Beitz einen Hinweis, der vielleicht so etwas wie eine Initialzündung wird: »Unser Land ist jetzt ein erstklassiges Absatzgebiet für Maschinen und andere Güter der Schwerindustrie, und es bestehen jetzt große Möglichkeiten für den Ost-West-Handel [und] für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern.« Beitz antwortet herzlich (»Meine älteste Tochter ist schon eine junge Dame«) und hofft, er werde Peter Ehrlich bald »als meinen Gast in Deutschland begrüßen«.
Schon im Jahr darauf kommt Ehrlich nach Essen, ein kleiner, sehr lebendiger und etwas undurchsichtiger Mann. Er ist Professor für Betriebswirtschaft in Kattowitz und gleichzeitig Journalist für ein Wirtschaftsblatt, vor allem aber Kopf eines polnischen Beratergremiums, das eng mit den neuen Machthabern in Warschau verflochten ist. Im Herbst 1956 ist der einst von Stalin gestürzte und eingekerkerte Wladyslaw Gomulka als Chef der polnischen KP an die Macht zurückgekehrt. Er appelliert an das starke Nationalgefühl, leitet eine innenpolitische Liberalisierung ein und schafft bescheidene Freiräume gegenüber dem Kreml.
Ein Jahr später ist Ehrlich Gast in Beitz’ Haus, das Wiedersehen ist herzlich. Der Generalbevollmächtigte stellt ihn auch den leitenden Männern von Krupp vor, wo Ehrlich »in einem ganz kleinen Kreis einmal eine ungeschminkte Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Polen gibt«. Das Land holt in der Schwerindustrie zwar auf – eindrucksvollster Beleg dafür ist das titanische Stahlwerk bei Nowa Huta. Aber noch seien lebende Schweine das wichtigste Exportgut in die Bundesrepublik, »während von Deutschland Lieferungen von Industrieausrüstungen in Frage kämen«. Sprich: Die westdeutsche Wirtschaft soll bei der Modernisierung Polens helfen, eines Landes, das »sich trotz der gegenwärtigen Zugehörigkeit zum Ostblock zu Europa bekenne und besonders bei der Bundesrepublik als natürlichstem Handelspartner um größeres Verständnis für seine Belange werbe«. Ehrlichs Vorschlag lautet daher: »eine Besprechung auf höchster Ebene«, mit der Regierung in Warschau. Er selber werde dies ermöglichen.
ZU GAST BEI FREUNDEN:
CHARMEOFFENSIVE NACH OSTEN
Beitz greift die Idee bereitwillig auf. Schon 1954 hatte das Krupp-Direktorium mehr Engagement auf den Märkten des Ostens beschlossen, und Berthold Beitz stimmt die entsprechenden Schritte mit Bonn ab. Im Dezember desselben Jahres schickte er die drei Krupp-Manager Engelking, Kannt und Weigelt auf die weite Reise nach Moskau, wo sie bei 15 Grad minus fröstelnd durch den Schnee stapften, zähe Gespräche mit einem »bürokratischen und langsamen Außenhandelsapparat« führten und »den Mangel eigener russischer Sprachkenntnisse als nachteilig empfinden«. Der Besuch endete auf Krupp-Seite gleichwohl mit dem vernünftigen Vorhaben, »das russische Geschäft in Zukunft auf direktem Wege zu bearbeiten«, am besten durch einen eigenen Russland-Vertreter.
Zwei Jahre später, im September 1956, besucht Beitz erstmals selbst ein sozialistisches Land, Jugoslawien. In Belgrad regiert Marschall Josip Tito mit harter Hand, und doch lässt sich hier leichter atmen als im Machtbereich Moskaus, von dem Tito sich gelöst hat. Beitz trifft hochrangige Kader und wird später, 1995, in seinem Aufsatz über die Anfänge des Osthandels resümieren: »An eine handfeste wirtschaftliche, gar gewinnträchtige, Zusammenarbeit konnte zunächst gar nicht gedacht werden. Es war also zunächst das Wichtigste, zu den Repräsentanten in Wirtschaft und Politik auf der anderen Seite in eine menschliche Beziehung zu kommen, die ein gewisses vorvertragliches Vertrauensverhältnis zu schaffen erlaubte.«
Ohnehin von Natur aus ein Einzelgänger, misstraut Beitz regierungsnahen Gremien wie dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und bleibt ihnen fern. Schon bald zeichnen sich Konflikte mit der Regierung Konrad Adenauers ab. Der Kanzler duldet keine Alleingänge von Industriellen im Osten, auch und schon gar nicht, als er 1955 nach Moskau reist, um wieder diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion aufzunehmen und endlich die letzten deutschen Gefangenen heimzuholen. Es ist eine Sternstunde für den alten Kanzler. Dennoch findet er in der sowjetischen Hauptstadt die Zeit, sich über die Anwesenheit einer Krupp’schen
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