Berthold Beitz (German Edition)
eine durchwachsene Presse, und in London schreibt der Sunday Dispatch , das Abkommen sei »die geizigste, kleinlichste und lächerlichste Gabe in der jüngsten Geschichte«. Die JCC und Opferverbände schließlich versuchen weiterhin, über die Verkaufsauflage die Firma Krupp zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen.
Alfried Krupp glaubt also, einen großen Schritt getan zu haben; die JCC und ihre Unterhändler hingegen betrachten dies als das Mindeste, was man erwarten kann. Krupp hat in einem Denkprozess, der für ihn persönlich nicht leicht gewesen sein mag, gehofft, mit seiner Vergangenheit endlich abschließen zu können; für die Überlebenden und ihre Vertreter aber, deren seelische Schmerzen gewiss nicht geringer sind, ist das Abkommen allenfalls ein Anfang. Krupp sieht Undank am Werk, die Gegenseite Kleinmut und Geiz. Die Kluft ist einfach noch zu groß. Das alles muss bitter sein für Berthold Beitz, der sein Bestes versucht hat. Doch hier ist, zumindest aus Sicht vieler Beteiligter, sein Bestes nicht gut genug. Dabei ist gerade er, aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts betrachtet, auf deutscher Seite der Wegbereiter der Zwangsarbeiterentschädigung gewesen.
Zum Vergleich: Friedrich Flick, den SS -Führer Heinrich Himmler persönlich durch Dachau geführt und dessen Großkonzern enorm von Arbeitssklaven profitiert hatte, hat sich zeitlebens ungerührt geweigert, auch nur einen Pfennig zu zahlen. Noch mehr als vier Jahrzehnte nach Beitz’ Vereinbarung mit Nahum Goldmann werden sich andere Unternehmen rigoros verweigern.
Rose Szego, die ungarische Jüdin, die in Auschwitz ihre Kinder verloren und im letzten Kriegswinter im Essener Walzwerk gearbeitet hat, erhält von Krupp nach dem Abkommen von 1959 etwa 3300 Mark.
Wegbereiter der Ostpolitik (1956–1969)
EIN BRIEF AUS POLEN
Die Straßen waren einmal schön, gesäumt von prächtigen Bürgerhäusern aus der Zeit vor den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Aber an diesem Tag des Jahres 1963 wirken die Fassaden trist und grau, als eine Autokolonne entlangfährt, Mercedes-Limousinen neuester Bauart mit den modischen Flügeln am Heck. Ihre Kennzeichen beginnen allesamt mit E- RZ . Es ist die Krupp’sche Dienstwagenflotte aus Essen, am frühen Morgen auf dem Weg zur Posener Messe, an Bord Berthold Beitz.
Ein westdeutscher Großindustrieller als Gast der wichtigsten Industrieschau Polens, ja des ganzen Ostblocks – in den Jahren des Kalten Krieges gleicht das anfangs fast dem Besuch eines Außerirdischen. Der Emissär aus Essen entspricht diesem Bild nun keineswegs, als er vor den Kameras und neugierigen Reportern das Wort ergreift und erklärt: »Wissen Sie, ich war in Polen während des Krieges.« Man solle nach allem, was er damals gesehen habe und was geschehen sei, »freundschaftliche Beziehungen« anstreben. Wie zwei alte Freunde ziehen Beitz und Polens Ministerpräsident Józef Cyrankiewcz über die Messe, der Deutsche strahlt Herzlichkeit aus und scheint sich fast wie zu Hause zu fühlen hinter dem Eisernen Vorhang, im Imperium der Sowjetunion, in dem sehr viele Westdeutsche nur das Reich des Bösen, der Kälte, des kommunistischen Feindes sehen.
Später, im Rückblick, wird Beitz einmal über seine Besuche in Warschau und Moskau, Sofia und Bukarest schreiben: »›Die Flagge folgt dem Handel‹ – dieses englische Sprichwort galt auch für unsere Situation; allerdings waren wir nicht in Kolonien unterwegs, sondern in Kulturländern, die die Deutschen ohne Zwang zu Feindesländern gemacht hatten.« Bei Krupp wird Beitz ja anfangs als »der Amerikaner« bezeichnet. Er hat den Konzern im Westen wieder salonfähig gemacht, er liebt New York und den freien Geist der angelsächsischen Welt. Die meisten seiner Reisen führen ihn jedoch nach Osteuropa, und mit Beifall daheim darf er deswegen nicht rechnen.
Es beginnt eigentlich mit einem Brief aus Warschau, der im Juni 1956 auf seinem Schreibtisch in Essen landet. Rührung und viele Erinnerungen überkommen ihn, als er den Absender liest: Peter Ehrlich, sein engster polnischer Mitarbeiter aus Boryslaw. Ehrlich hat in der Zeitung gelesen, dass der junge Direktor aus Boryslaw nun einer der mächtigsten Industriellen Westdeutschlands ist. »Diese Nachricht hat mich besonders erfreut, Ihren Mitarbeiter in der Karpathenoel in Boryslaw. Oft denke ich zurück an diese schwere Zeit und an Ihre uns allen erwiesene menschenfreundliche Hilfe … Mir geht es gut, ich bin Professor, bin auch in der Wirtschaft
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