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Berthold Beitz (German Edition)

Berthold Beitz (German Edition)

Titel: Berthold Beitz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Käppner
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Wirtschaftsdelegation zu echauffieren; »sehr aufgebracht« schreibt er Alfried Krupp ein Telegramm und fordert ihn auf, die Herren schleunigst abzuziehen, damit »nun nicht die deutsche Industrie durch einen Ansturm auf Moskau die sehr schwierigen politischen Ergebnisse gefährdet«. Mit anderen Worten: erst die Flagge, dann der Handel.
    Denn jetzt, Mitte der fünfziger Jahre, herrscht trotz des Adenauer-Besuchs in Moskau die Eiszeit des Kalten Krieges, der die bundesdeutsche Ostpolitik einfrieren lässt. 1953 schlagen sowjetische Panzer den Arbeiteraufstand in der DDR nieder, 1956 die Rebellion in Budapest. Der Kommunismus zeigt sein hässliches, tyrannisches Gesicht, während die Bundesrepublik dank Adenauers Außenpolitik immer mehr ein Teil des Westens wird, so wie die DDR ein Teil des Ostens. Doch die Bonner Regierung macht sich abhängig von einer unerfüllbaren Forderung, der Wiedervereinigung zu ihren Bedingungen. Die Wiederherstellung der Einheit und die Freiheit für die DDR sind ein berechtigter Wunsch, realistischerweise aber nur ein Wunschtraum; und aus Träumen erwächst oft schlechte Politik.
    Deren Ausdruck ist die 1955 von Außenamts-Staatssekretär Walter Hallstein entworfene und nach ihm benannte Doktrin: Demnach kann es nur einen Vertreter des geteilten Deutschlands geben, nämlich die Bundesrepublik, die im Gegensatz zu dem »Regime von Pankow« demokratisch legitimiert ist, und Bonn wird keine diplomatischen Beziehungen zu Staaten unterhalten, welche die DDR anerkennen. 1957 bricht die Bundesrepublik aus diesem Grund die Beziehungen zu Jugoslawien ab. Selbstbewusst soll das wirken, souverän und als Ausdruck von Grundsatztreue gegenüber einer guten Sache. Andererseits verstreicht so die große Gelegenheit, den Wandel im Ostblock in den Jahren nach dem Tod des Tyrannen Stalin 1953 zu nutzen. In keinem Staat hinter dem Eisernen Vorhang, mit Ausnahme der Sowjetunion, unterhält Bonn vor 1970 eine Botschaft.
    Vor allem Polen bleibt ein Feindbild – Polen, das auf Kosten der eigenen Ostgebiete von Stalin die deutschen Ostgebiete erhielt und deren noch verbliebene Bewohner gewaltsam aus der Heimat vertrieb. Umso mehr gilt das Land in den fünfziger und sechziger Jahren einer bundesdeutschen Regierung, die diese Gebietsverluste nicht akzeptieren will, als Inbegriff eines kommunistischen Zwangsregimes; die Deutschen sehen sich als Opfer. Der Publizist Peter Bender wird das später auf den Punkt bringen: »Die Peinlichkeit, die in alldem lag, wurde kaum empfunden. Es war Hitlers Krieg, der den Polen den Kommunismus verschafft hatte – nun bestraften die Westdeutschen die Polen dafür, daß sie den Kommunismus hatten.«
    Dabei ist jenseits von Grenztürmen und Stacheldraht so vieles im Wandel: Chruschtschow erschüttert die sowjetische Nomenklatura 1956 durch seine berühmte Geheimrede, in der er die Verbrechen des Stalinismus schonungslos beim Namen nennt. In den Ländern der von den Sowjets Unterworfenen und mit ihnen Verbündeten beginnen sich Eigenständigkeiten zu regen, man spricht von »Tauwetter«, das freilich jederzeit wieder in eine Eiszeit umschlagen kann.
    Es ist dies die Stunde der Außenseiter – von Männern wie dem Stahlhändler Otto Wolff von Amerongen, der schon 1954 Kontakte nach Moskau und Peking aufnimmt und vier Jahre später Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft wird. Und wie Berthold Beitz, der die einzigartige Machtfülle, die ihm Alfried Krupp verliehen hat, mit Geschick und Chuzpe zu nutzen weiß. Der Inhaber selbst überlässt die Ostreisen vollständig seinem Generalbevollmächtigten und billigt, ohne sich oft dazu zu äußern, das Geschäft mit den kommunistischen Staaten.
    Am 10. Februar 1958 reist Beitz erstmals seit dem Krieg wieder nach Polen. Vierzehn Jahre ist es her, dass er hier war. Verstörend nah müssen die Erinnerungen sein. Boryslaw gehört nicht mehr zu Polen, es liegt nun in der Sowjetunion, die sich den Osten des Landes nach 1945 einverleibt hat. Er wird den Ort niemals mehr aufsuchen, obwohl ihm das trotz aller Grenzen gewiss möglich gewesen wäre – kein einziges Mal.
    Trotzdem ist Boryslaw allgegenwärtig. Jeder, den Beitz in Polen trifft, ist gut darüber informiert, dass dieser Gast ein anderer Deutscher ist als jene, die während der Zeit der Besatzung Mord und Vernichtung über das Land gebracht haben. »Nur dieser persönliche Hintergrund macht verständlich, warum ich bereits bei meiner ersten Reise nach Polen … von

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