Bertrams Hotel
Sie wäre selbst unbemerkt geblieben, wenn jemand im Laden zugesehen hätte.
»Tja, tja«, sagte Mr Bollard, als er vom Fenster zurückkam, durch das er auf die Straße geblickt hatte. »Beinahe ein Unfall. Törichtes Mädchen! So über die Straße zu stürzen!«
Während Elvira bereits langsam auf die Tür zuging, blickte sie auf ihre Armbanduhr und stieß einen kleinen Schrei aus. »O Gott, ich habe mich hier viel zu lange aufgehalten. Wenn ich nur nicht meinen Zug verpasse! Ich danke Ihnen vielmals, Mr Bollard, und vergessen Sie bitte nicht, die vier Stücke vorläufig für mich zurückzulegen.«
Einen Augenblick später war sie draußen. Sie wandte sich rasch nach links, dann nochmals nach links und blieb in der Passage eines Schuhgeschäfts stehen, bis Bridget atemlos herbeikam.
»Oh«, sagte Bridget, »ich war zu Tode erschrocken. Ich dachte, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Außerdem habe ich mir den Strumpf zerrissen.«
»Mach dir nichts draus«, meinte Elvira und zog ihre Freundin im Eiltempo die Straße entlang und dann um die nächste Ecke. »Los, weiter.«
»Hat alles – geklappt?«
Elvira ließ ihre Hand in die Tasche gleiten und holte ein mit Diamanten und Saphiren besetztes Armband hervor.
»Bridget, du musst jetzt in das Pfandhaus gehen, das wir uns ausgesucht haben. Sieh zu, wie viel du dafür bekommen kannst. Verlang hundert Pfund. Dann geh zum Büro der Air Lingus und besorg mir ein Flugticket – ich muss mit einem Taxi zu Prunier’s fahren; bin schon um zehn Minuten zu spät dran. Ich komme morgen Früh gegen halb elf zu dir.«
»Oh, Elvira, wenn du dich doch nicht immer auf so riskante Dinge einlassen wolltest«, stöhnte Bridget.
Doch Elvira hatte bereits ein Taxi herbeigewinkt.
Der Aufenthalt im Laden von Robinson & Cleaver’s bereitete Miss Marple ungetrübtes Vergnügen. Sie kaufte nicht nur teure, aber wunderbare Laken, sondern leistete sich auch noch rotumrandete Gläsertücher von guter Qualität. Nachdem sie ihre Adresse in St Mary Mead angegeben hatte, stieg sie in einen Bus, der sie zum Army & Navy Warenhaus brachte. Es gab dort ein Restaurant, und das suchte sie nun auf, um sich zu stärken. Nachdem sie sorgfältig die Speisekarte studiert und ihre Wahl getroffen hatte, ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern, und staunend bemerkte sie Bess Sedgwick. Was für ein ungewöhnlicher Zufall! Bis gestern hatte sie diese Frau nie persönlich zu Gesicht bekommen. Sie hatte zwar viele Zeitungsbilder von ihr gesehen – bei Pferderennen, auf den Bermudas oder neben ihrem eigenen Flugzeug oder Auto. Aber gestern war sie ihr zum ersten Mal begegnet. Und jetzt, wie das so oft geschieht, führte sie der Zufall an einem höchst unwahrscheinlichen Ort wieder zusammen. Nach ihrem Dafürhalten ließ sich ein Essen im Warenhaus mit Lady Sedgwick schlecht miteinander in Einklang bringen. Dennoch saß sie hier in voller Lebensgröße – wie üblich sehr elegant in dem dunklen Kostüm und der smaragdfarbenen Hemdbluse – mit einem jungen Mann am Tisch. Einem jungen Mann in einer schwarzen Lederjacke und mit einem hageren, habichtartigen Gesicht. Sie steckten die Köpfe zusammen, ernsthaft in ein Gespräch vertieft, und schaufelten das Essen in sich hinein, als wüssten sie gar nicht, was sie da verspeisten.
Miss Marple unterzog den jungen Mann einer Musterung und kam zu dem Schluss, dass er ein »hübscher Bursche« war, wie sie zu sagen pflegte. Aber sie stellte gleichzeitig fest, dass er ihr nicht sonderlich gefiel. Er sah nicht so aus, als ob er viel taugte.
Bess Sedgwick würde keinen Rat von mir annehmen, überlegte Miss Marple, aber ich könnte ihr schon einen geben. Doch die Liebesaffären anderer Leute gingen sie nichts an, und nach allem, was man so hörte, wurde Bess Sedgwick mit ihrem Privatleben ganz gut allein fertig.
Miss Marple seufzte, widmete sich ihrem Lunch und plante einen Besuch der Papierwarenabteilung.
Neugierde oder, wie sie es selbst zu nennen beliebte, »Interesse« für die Angelegenheiten ihrer Mitmenschen gehörten zweifellos zu Miss Marples charakteristischen Eigenschaften.
Absichtlich ihre Handschuhe auf dem Tisch zurücklassend, erhob sie sich und durchquerte den Raum, um zur Kasse zu gehen. Dabei wählte sie einen Weg, der dicht an Lady Sedgwicks Tisch vorbeiführte. Sobald sie ihre Rechnung beglichen hatte, »entdeckte« sie, dass ihre Handschuhe fehlten, und kehrte an ihren Platz zurück. Bei dieser Gelegenheit ließ sie unversehens
Weitere Kostenlose Bücher