Bertrams Hotel
ihre Handtasche fallen – sie sprang auf, und verschiedene Gegenstände verstreuten sich über den Boden. Eine Kellnerin eilte herbei, um ihr beim Auflesen behilflich zu sein, und Miss Marple sah sich gezwungen, weiter Unbeholfenheit vorzutäuschen, indem sie Kleingeld und Schlüssel ein zweites Mal fallen ließ.
Diese List brachte ihr nicht viel ein, aber ganz vergeblich war sie auch nicht – es war interessant, dass die beiden Objekte ihrer Neugier keinen einzigen Blick auf die tatterige alte Dame übrig hatten, die dauernd ihre Sachen fallen ließ.
Als Miss Marple auf den Lift wartete, der sie nach unten bringen sollte, ließ sie sich die aufgeschnappten Gesprächsfetzen noch einmal durch den Kopf gehen:
» Wie lautet der Wetterbericht?«
»O.K. Kein Nebel.«
»Alles klar für die Schweiz?«
»Ja. Das Flugzeug startet um einundzwanzig Uhr vierzig.«
Das war alles, was sie das erste Mal mitbekommen hatte. Auf dem Rückweg war das Resultat etwas ergiebiger gewesen.
Bess Sedgwick hatte in zornigem Tonfall geredet.
»Was ist denn nur in dich gefahren, gestern im Bertrams zu e r sche i nen…«
»Das macht doch nichts. Ich habe nur gefragt, ob du dort wohnst, und jeder weiß, dass wir eng befreundet sind…«
»Darum geht es nicht. Das Bertrams passt für mich – aber nicht für dich. Du fällst dort auf wie ein weißer Elefant. Jeder starrt dich an.«
»Lass sie doch 1 .«
»Du bist wirklich ein Idiot. Warum – warum denn nur? Was steckte dahinter? Du hattest gewiss einen Grund – ich kenne dich doch…«
»Beruhige dich, Bess.«
»Du bist ja so ein Lügner!«
Das war alles, was Miss Marple hatte hören können.
7
E s war der Abend des 19. November, und Kanonikus Pennyfather hatte im Athenaeum früh zu Abend gespeist. Dann hatte er ein paar Freunden zugenickt und sich an einer aufschlussreichen Debatte über einige kritische Punkte bei der Datierung der Schriftrollen vom Toten Meer beteiligt. Und als er jetzt auf die Uhr blickte, sah er, dass es Zeit war, aufzubrechen, wenn er das Flugzeug nach Luzern noch erreichen wollte. Als er durch die Halle schritt, wurde er abermals von einem alten Freund begrüßt – Dr. Whittaker von der Gesellschaft für archäologische Forschung, der ihn heiter fragte:
»Wie geht’s Ihnen, Pennyfather? Habe Sie schon lange nicht mehr gesehen. Wie war’s auf dem Kongress? Sind wichtige Fragen zur Sprache gekommen?«
»Ich bin überzeugt, dass interessante Diskussionen stattfinden werden.«
»Sie sind doch gerade zurückgekehrt, nicht wahr?«
»Nein, nein, ich bin eben auf dem Weg dorthin. Fliege heute Abend ab.«
»Ach so.« Whittaker blickte ein wenig verdutzt drein. »Ich hatte eigentlich angenommen, der Kongress sei heute gewesen.«
»Nein, nein. Morgen, am 19.«
Kanonikus Pennyfather schritt durch die Tür, während sein Freund ihm nachsah und sagte:
»Aber mein lieber Freund, heute ist doch der Neunzehnte, oder?«
Kanonikus Pennyfather war jedoch längst außer Hörweite. Er nahm sich in der Pall Mall ein Taxi und ließ sich zum Flughafenabfertigungsgebäude in Kensington fahren. Es warteten ziemlich viele Fluggäste an diesem Abend. Aber schließlich kam auch er an die Reihe. Es glückte ihm sogar, Flugschein, Pass und andere für die Reise notwendige Papiere vorzulegen. Das Mädchen hinter dem Tresen, das gerade diese Papiere stempeln wollte, hielt inne.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir, dies scheint aber das falsche Flugticket zu sein.«
»Das falsche Flugticket? Nein, nein, das stimmt schon. Flug einhundertund – nun, ich kann ohne meine Brille nicht gut lesen – einhundertundsoundso nach Luzern.«
»Es handelt sich um das Datum, Sir. Dieser Schein gilt für Mittwoch, den 18.«
»Nein, nein, Sie irren sich. Hm – ich wollte sagen – heute ist doch Mittwoch, der 18.«
»Tut mir leid, Sir. Heute ist der 19.«
»Der 19.!« Der Kanonikus war entsetzt. Er kramte einen kleinen Taschenkalender hervor und blätterte eifrig darin herum. Schließlich konnte er sich selbst davon überzeugen; heute war tatsächlich der 19. Das Flugzeug, das er benutzen wollte, war gestern abgegangen.
»Das bedeutet dann ja – das bedeutet – oje, es bedeutet, dass der Kongress in Luzern heute bereits stattgefunden hat.«
In tiefer Verzweiflung starrte er über den Tresen hinweg. Aber es warteten viele andere Reisende, und der Kanonikus und seine Schwierigkeiten wurden einfach beiseite geschoben. Er stand traurig da, die nutzlosen Reisepapiere in der Hand.
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