Bertrams Hotel
ein gewaltiges Donnern und…
»Jetzt hat’s geknallt!«, sagte Vater.
Er stand ruhig da und wartete mit einer Geduld, die für ihn charakteristisch war. Miss Marple stand schweigend neben ihm. Dann, wie bei einem Stafettenlauf, eilte die Nachricht die Straße entlang. Ein Mann auf dem gegenüberliegenden Gehsteig blickte zu Chefinspektor Davy hinauf und gab ihm ein paar Zeichen.
»Es hat sie erwischt«, sagte Vater traurig. »Tot! Raste mit 140 gegen das Parkgeländer. Keine anderen Opfer, nur ein paar leichte Blechschäden. Großartige Fahrerin. Ja, sie ist tot!« Er kam zurück ins Zimmer und sagte ernst: »Nun, sie hat vorher ihr Geständnis abgelegt. Sie haben es ja gehört.«
»Ja«, erwiderte Miss Marple. »Ich habe es gehört.« Es entstand eine kleine Pause. »Es stimmte natürlich nicht«, fuhr Miss Marple gelassen fort.
Vater blickte sie an. »Sie haben ihr nicht geglaubt?«
»Sie etwa?«
»Nein«, sagte Vater. »Nein, das Geständnis war falsch. Sie hat sich alles so zurechtgelegt, dass es mit den Tatsachen übereinstimmte, aber es war nicht die Wahrheit. Sie hat Michael Gorman nicht erschossen. Wissen Sie zufällig, wer es getan hat?«
»Natürlich weiß ich das«, erklärte Miss Marple. »Das Mädchen.«
»Aha! Wann ist Ihnen dieser Gedanke gekommen?«
»Er ging mir von Anfang an im Kopf herum«, erwiderte Miss Marple.
»Mir auch«, gestand Vater. »Sie hatte an dem Abend panische Angst. Und die Lügen, die sie uns auftischte, waren recht kümmerlich. Aber ich konnte mir zunächst kein Motiv denken.«
»Das ist mir auch ein Rätsel«, gab Miss Marple zu. »Sie entdeckte, dass ihre Mutter und ihr Vater in Bigamie gelebt hatten. Doch würde ein Mädchen deswegen einen Mord begehen? Heutzutage nicht! Spielte Geld dabei vielleicht eine Rolle?«
»Ja, es ging um Geld«, sagte Chefinspektor Davy. »Ihr Vater hat ihr ein kolossales Vermögen hinterlassen. Als sie dahinter kam, dass ihre Mutter mit Michael Gorman verheiratet war, wurde ihr klar, dass die Ehe mit Coniston nicht rechtsgültig gewesen war. Sie nahm an, dass sie da nicht erben würde, weil sie ja nicht die legitime Tochter ihres Vaters war. Natürlich irrte sie sich. Wir hatten mal einen ähnlichen Fall. Es kommt dabei auf den genauen Wortlaut des Testaments an. Coniston hatte ihr das Vermögen ganz unzweideutig hinterlassen, da er sie namentlich nannte. Sie hätte es also auf alle Fälle bekommen, aber das wusste sie nicht. Und sie wollte sich die Moneten nicht entgehen lassen.«
»Weshalb brauchte sie es denn so dringend?«
»Um sich Ladislaus Malinowski zu kaufen. Mit dem Geld hätte er sie geheiratet, aber nicht ohne. Das wusste sie ganz genau. Sie war nicht dumm, dieses Mädchen. Aber sie wollte ihn um jeden Preis haben. Sie war leidenschaftlich in ihn verliebt.«
»Ich weiß«, sagte Miss Marple und setzte erläuternd hinzu:
»Ich habe an jenem Tag im Battersea Park ihr Gesicht beobachtet…«
»Also plante sie einen kaltblütigen Mord«, sagte Vater. »Sie hatte sich natürlich nicht in dem Kellervorhof versteckt. Dort war niemand. Sie stand einfach am Geländer, feuerte einen Schuss ab und schrie. Und als Michael Gorman vom Hotel her auf sie zurannte, erschoss sie ihn ganz aus der Nähe. Dann schrie sie weiter. Ein kaltblütiges Geschöpf! Sie beabsichtigte keineswegs, Ladislaus zu belasten. Seine Pistole hat sie nur entwendet, weil sie keine andere Möglichkeit hatte, sich eine zu verschaffen – sie dachte nicht im Traum daran, dass man ihn verdächtigen könnte oder dass er sich an diesem Abend irgendwo in der Nähe aufhielte. Sie nahm an, dass man die Tat einem Gauner in die Schuhe schieben würde, der sich den Nebel zu Nutze gemacht hatte. – Aber es packte sie die Furcht an jenem Abend – hinterher!«
»Und jetzt – was gedenken Sie zu tun?«
»Ich weiß zwar, dass sie es getan hat«, sagte Vater. »Aber ich habe keine Beweise. Vielleicht hat sie Anfängerglück… Selbst die Gerichte scheinen heutzutage nach dem Prinzip zu verfahren, man solle einen Hund einmal zubeißen lassen… Ein gewiefter Verteidiger… Ein Druck auf die Tränendrüse – ein so junges Mädchen, unglückliche Kindheit – außerdem ist sie schön.«
»Ja«, sagte Miss Marple nachdenklich. »Luzifers Kinder sind oft sehr schön…«
»Aber wie ich Ihnen schon sagte, es wird wahrscheinlich nicht einmal zur Verhandlung kommen – es sind keine Beweise vorhanden. Sie beispielsweise würden als Zeugin geladen – und Sie müssten bezeugen,
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