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Beruehrt

Beruehrt

Titel: Beruehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Lyall
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einen Ausflug nach Falmouth eingebaut, dem künftigen Studienort seiner ältesten Tochter. Auf dem Rückweg von Pendennis Castle war ihnen das Schloss aufgefallen – um genau zu sein, dem Japaner zuerst. Eigentlich handelte es sich nur um ein Manor, einen Herrensitz. Aber so erhaben, wie es weit oberhalb der Küste, von Rhododendren umsäumt, zwischen den Hügeln thronte und sich den Blicken halb entzog, sprach in der Gegend jeder nur von dem »Schloss«. Groß genug war es und ausreichend Stufen hatte es auch.
    Rachel keuchte. Ihre Oberschenkel brannten unter dem ungewohnten Gewicht des Kartons, das sich mit jedem Treppenabsatz zu verdoppeln schien. Ihre hohen Schuhe machten diese Herausforderung nicht unbedingt einfacher. Sie pausierte einen Augenblick und lehnte sich an die Steinwand, die sich zu ihrem Erstaunen warm anfühlte, doch sie musste weiter. Der Lärm der Möbelpacker knapp hinter ihr ließ keine Verschnaufpause zu.
    Jedenfalls war es der Sehenswürdigkeitengier des Japaners und der schnellen Auffassungsgabe ihres Vaters zu verdanken, dass der Geschäftswagen vor knapp zwei Wochen in die lange gewundene Auffahrt gebogen war. Und dann musste Paul McIntyre seinem sichtlich enttäuschten Kunden erklären, dass das bunte, handgemalte Schild mit der Aufschrift »to let« nicht den Schnäppchenerwerb eines ganzen Herrenhauses versprach, sondern eine – wie sich herausstellte – heiß begehrte Studentenwohnung anbot. Kurzerhand hatte ihr Vater seinen Kunden in einen Rundgang durch die sehenswerten Parkanlagen verabschiedet. Dann hatte er die Vormieterin herausgeklingelt, den Hausmeister interviewt, Rachel die Fotos gesendet, und als diese ein O. K. zurückgesimst hatte, schließlich seine Mitarbeiterin mit den Mietformalitäten betraut. Danach hatte er den verblüfften Japaner mit einem fröhlichen »Erledigt!« wieder eingesammelt.
    Und das war gut so, denn obwohl für die meisten gerade erst die Semesterferien begonnen hatten, hatte Rachel nun den ganzen Sommer über Zeit, sich hier in Falmouth einzuleben und hoffentlich neue und vor allem nette Leute kennenzulernen.
    Rachel war erledigt. Die Treppen wollten kein Ende nehmen. Auf einmal hörte sie, wie von oben jemand in großen Sprüngen näher kam. Gleich darauf schoss ein junger Mann in Jeans, Shirt und Turnschuhen viel zu schwungvoll um die Ecke. Rachel konnte gerade noch ihren Karton zur Seite reißen, bevor ihre liebsten Dinge durch die Schlosshalle katapultiert wurden.
    »Whow, whow, whow! Hab ich das Schild mit der Aufschrift Rennbahn verpasst?«, rief sie dem Burschen hinterher, der einfach weitergerannt war. Auf Höhe der Möbelpacker, eine halbe Treppe tiefer, musste er zwangsläufig bremsen.
    Ein brauner Lockenkopf tauchte über dem Geländer auf und feixte sie mit einem unverschämten Zahnpastareklamegrinsen an. »Frischer Wind in unserer trauten Hütte! Ich eile, Ihnen Blumen zum Einzug zu pflücken, schöne Prinzessin. Bin nur leider spät dran. Verzeiht mein überschäumendes Temperament.« Damit tauchte er unter dem Ledersofa durch und sprang mit Schwung über die Brüstung ins Erdgeschoss. Er kam auf allen vieren auf, verneigte sich noch einmal albern und rannte nach draußen.
    Die Umzugsleute fanden das anscheinend komisch.
    Rachel schnitt eine Grimasse und stieg weiter. Jetzt musste sie gleich da sein. Eine Galerie zweigte nach links ab. Aus der Richtung war auch der Lockenkopf gekommen. Womöglich wohnten sie im gleichen Stockwerk. Rachel ging an den ersten beiden Wohnungen vorbei. Schuhe, Reitstiefel und ein Schirmständer standen vor dem einen, ein Paar Inliner und Sneakers vor dem zweiten Eingang. Hinter der Tür übte gerade irgendwer Saxofon. Ruhebedürftige Philosophiestudenten wohnten hier schon mal nicht.
    »Willkommen im Schloss«, sagte Rachel zu sich selbst, schloss die Augen und stieß mit einem tiefen Atemzug die letzte der drei Türen auf.
    Dad hatte nicht zu viel versprochen. Rachel ließ ihren Karton auf einen alten Holztisch poltern, der zusammen mit zwei Korbstühlen in der offenen Küche den Essbereich bildete. Über dem Tisch pendelte eine Lampe, deren schrillbunter Keramikschirm ganz offensichtlich handgemacht war. Da das Ensemble nicht gerade modern war, passte es perfekt zum shabbycharmanten Stil der Wohnung. Die Wände waren halbhoch in fliederfarbenen Streifen tapeziert, mit einer Bordüre abgesetzt und darüber flachsgelb gestrichen. Ein Strauß später Osterglocken mit einem handgeschriebenen Kärtchen stand

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