Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Widmung dieses Buches ist ausgespart.
Wie soll ich es dir widmen,
dem Vertrauten,
dem ich die Treue gehalten habe
und nicht gehalten habe,
und beides in Liebe.«
Hannah hat Heidegger die Treue gehalten. Sie hat nach seinem Verhalten im Nationalsozialismus nicht mit ihm gebrochen. Sie war ihm aber auch untreu oder –besser gesagt – nicht ergeben, insofern sie die Vergangenheit nicht auf sich beruhen ließ. Sie hat ihn immer wieder bedrängt, sich nicht hinter Halbwahrheiten und Ausreden zu verstecken und sich den eigenen Fehlern und Schwächen zu stellen.
Auch als Schülerin hält Hannah ihrem Lehrer diese kritische Treue. Sie bleibt ihm verpflichtet – und geht über ihn hinaus. Wie weit folgt sie in Vita activa Heideggers Spuren und ab welchem Punkt geht sie eigene Wege?
In jenen Marburger Tagen, an die Hannah erinnert, schrieb Heidegger, inspiriert durch die junge Geliebte, sein Hauptwerk Sein und Zeit , mit dem er ganz neuen Boden in der Philosophie betrat. Ausgangspunkt war dabei die Einsicht, dass wir die Welt, in der wir leben, nicht erst erschließen, wenn wir über sie nachdenken, sondern schon indem wir in ihr handeln und tätig sind. Wir erfahren die Welt, indem wir ganz selbstverständlich in sie eingebunden und auf sie eingespielt sind. Und während wir mit den Dingen und mit anderen Menschen umgehen, leitet uns eine »Umsicht«, die zum Handeln gehört. Wenn wir anfangen, über diese Welt nachzudenken, über sie Theorien zu entwerfen oder wissenschaftliche Betrachtungen anzustellen, dann wird diese Einheit von Handeln und Umsicht zerstört. Wir schaffen eine Distanz, die uns dem ursprünglichen Erleben entfremdet.
Heidegger nennt dieses umsichtige Umgehen »Sorge«, und es ist durchaus in dem zweifachen Sinn von »Sorge haben« und »Sorge tragen« gemeint. Der Mensch kümmert sich um die Welt und er ist auch besorgt um sie, weil sie auf eine unberechenbare Zukunft zugeht. Wegen dieser beiden Aspekte ist die Sorge für Heidegger durchaus zwiespältig zu sehen. Im sorgenden Umgang mit der Welt kann der Mensch seine Bestimmung finden. Es kann aber auch sein, dass man sich aus übermäßiger Sorge in vermeintliche Sicherheiten flüchtet und das Wagnis, welches das Leben darstellt, nicht mehr annimmt. Diese Art Sorge würde das Leben ersticken.
Hannah Arendt hat Heideggers Neuorientierung mitvollzogen. Auch sie will dem tätigen Leben, das von den Philosophen bisher so stiefmütterlich behandelt wurde, zu seinem Recht verhelfen. Darum denkt sie in Vita activa darüber nach, »was wir eigentlich tun, wenn wir tätig sind«. 6
Wie Hannah Arendt dieses Tätigsein allerdings betrachtet, darin unterscheidet sie sich nun grundlegend von Martin Heidegger. Ob das besorgende Leben gelingt, das heißt, ob es »eigentlich« wird, das hängt für Heidegger vom Einzelnen ab. Er muss ein gewandeltes Verhältnis zu sich finden, und das geschieht in bewusster Abkehr von den Mitmenschen, vom »Man« und dessen »Gerede«. Für Hannah Arendt dagegen bedeutet die Weltverbundenheit des Menschen, dass er die Welt mit anderen teilt und darum sein Handeln immer auf seine Mitmenschen ausrichten und öffnen muss.
In Vita activa beurteilt Hannah Arendt daher die verschiedenen Formen des Tätigseins nach dem Maßstab, ob sie etwas Dauerhaftes hervorbringen, das eine gemeinsame Welt schafft und Gemeinschaft stiftet.
Entsprechend diesem Maßstab unterscheidet sie drei Arten des Tätigseins: das Arbeiten, das Herstellen und das Handeln.
Arbeit ist für Hannah jene Tätigkeit, die am wenigsten weltbildend ist. Sie ist von der Notwendigkeit diktiert, am Leben bleiben zu müssen. Wenn ich beispielsweise einen Baum fälle, ihn zu Brennholz klein hacke und damit ein Feuer mache, um nicht zu erfrieren, dann wird das Ergebnis meiner Arbeit sofort wieder zu meiner Lebenserhaltung verbraucht. Es bleibt nichts übrig. Man lebt sozusagen von der Hand in den Mund. In einer Welt, die nur Arbeit kennt, gibt es nur den Rhythmus von Arbeiten und Konsumieren, der erst ein Ende findet, wenn das Leben selbst beendet oder die Arbeitskraft erschöpft ist. In einer solchen Welt ist kein Platz für eine andere Art Tätigkeit, die nicht an den Rhythmus von Arbeit und Konsum gekettet ist. Es gibt nur »weltunbezogene Liebhabereien« und es gibt Freizeit, aber die ist, weil sie nur Kraft zu neuer Arbeit geben soll, bloß um der Arbeit willen da.
Hannah Arendt hegt nicht, wie Karl Marx, die Hoffnung, dass Arbeit eines Tages überflüssig werden
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