Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
geführt hat, nach New York zurück. Als sie vom Flughafen nach Hause kommt, wird sie im Flur ihres Hauses von zwei halbwüchsigen Schwarzen überfallen. Sie entreißen ihr die Handtasche. Das ist kein großer Verlust. Doch Hannah beschließt nach diesem Zwischenfall, sich nach einer neuen Wohnung, in einer besseren Gegend, umzusehen. Heinrich ist davon nicht begeistert. Er fühlt sich in der alten Wohnung »so gut« und an eine neue Wohnung stellt er gleich Forderungen, die nahezu unerfüllbar sind. Doch Hannah lässt sich von ihrem Entschluss nicht abbringen und schleift Heinrich mit zur Wohnungssuche. Und gleich von der ersten Wohnung, die sie besichtigen, am Riverside Drive Nummer 370, sind beide begeistert. Sie hat vier große und ein kleines Zimmer. Die Ausstattung ist ganz neu. Von den Arbeitszimmern hat man einen »phantastisch schönen Blick« auf den Hudson River. Und das Haus wird Tag und Nacht von einem »Doorman« bewacht. 3
Der Umzug vom Morningside Drive zum Riverside Drive, beide sind nur einige Straßenzüge voneinander entfernt, geht noch im Dezember über die Bühne. Die Arbeit bleibt hauptsächlich an Hannah hängen, die allerdings unter ihren Freunden viele Helfer findet. Heinrich ist am Bard College zu beschäftigt. »Immerhin«, schreibt Hannah an Jaspers, »die Bilder hat er doch aufhängen müssen.« An Silvester findet die traditionelle Party bei den Arendt-Blüchers statt. Das alljährliche Ereignis hat sich inzwischen herumgesprochen. Die Leute warten nicht mehr darauf, dass sie eingeladen werden. Sie rufen einfach an und fragen, ob sie kommen können. Dieses Mal sind es besonders viele, über sechzig Gäste drängeln sich in der neuen Wohnung.
Nach dem »großen Bums« muss sich Hannah wieder an die Arbeit machen. Eine Vortragsreise steht ihr bevor und bis April soll die deutsche Übersetzung von The Human Condition fertig sein. Aber in der neuen Wohnung kommt sie nicht zur Ruhe. Im März taucht plötzlich Mary McCarthy bei ihr auf und bittet sie, vorläufig bei ihr wohnen zu dürfen. Marys Privatleben ist wieder einmal ziemlich durcheinander. Ihre Affäre mit dem englischen Ex-Boxer ist in die Brüche gegangen. Als sie ihn in London besuchen wollte, musste sie erfahren, dass er sie nach Strich und faden belogen hatte und zudem ein hoffnungsloser Säufer ist. Auf einer Reise durch Osteuropa lernte sie im Dezember 1959 in Warschau den amerikanischen Diplomaten James West kennen, der ihr gleich im Januar einen Heiratsantrag machte. Auch Mary will West heiraten. Das Problem ist, dass beide noch verheiratet sind. Mary mit Bowden Broadwater und West mit einem »abscheulichen kleinen Ungeheuer«, wie Mary findet. Und West habe auch noch drei Kinder.
Für Hannah ist das Ganze eine »phantastische, z. T. sehr amerikanische Geschichte«, ein »Wechseljahre-Bild« mit »Torschlusspanik«, das sie nicht recht nachvollziehen kann. Und sie fürchtet, dass Mary verletzt werden könnte. 4 Mary bleibt bis Ende April und reist dann nach Rom, wo sie sich mit James West trifft.
Anfang Mai ist Hannah mit ihrer Übersetzung der Human Condition immer noch nicht fertig. Sie verflucht »Gott und die Welt«. Es dauert noch bis zum Juni, bis diese Arbeit – »Gott sei Dank« – abgeschlossen ist.
Als im Herbst das Buch unter dem Titel Vita activa oder vom tätigen Leben erscheint, macht Hannah etwas Ungewöhnliches, sie schreibt einen Brief an Martin Heidegger. Seit ihrem letzten Besuch 1955 war der Kontakt so gut wie abgebrochen. Hannah hat ihm regelmäßig zum Geburtstag gratuliert. Zum letzten Mal im September 1959, als Heidegger siebzig Jahre alt wurde. Und Heidegger hatte ihr im letzten Jahr seine neuesten Bücher zugeschickt. Hannah teilt ihm nun mit, dass sie ihm über ihren Verlag ein Exemplar ihres Buches zukommen lassen wird. Und sie schreibt weiter: »Du wirst sehen, dass das Buch keine Widmung trägt. Wäre es zwischen uns je mit rechten Dingen zugegangen – ich meine zwischen, also weder dich noch mich –, so hätte ich dich gefragt, ob ich es dir widmen darf; es ist unmittelbar aus den ersten Marburger Tagen entstanden und schuldet dir in jeder Hinsicht so ziemlich alles. So wie die Dinge liegen, schien mir das unmöglich; aber auf irgendeine Weise wollte ich dir doch den nackten Tatbestand sagen.« 5
Auf ein Blatt Papier schreibt sie dann noch eine Art Widmung für Martin Heidegger, legt sie allerdings
nicht in den Brief, sondern behält sie für sich. Sie lautet:
»Re Vita activa
Die
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