Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
für ihn selber nie fassbar, sie begleitet ihn und schaut ihm gleichsam nur »von hinten über die Schulter«. Und sie wird so nur anderen sichtbar, denen er begegnet. Darin liegt die offenbarende Qualität des Handelns und Sprechens. Und sie kommt nur da ins Spiel, »wo Menschen miteinander, und weder für noch gegeneinander, sprechen und agieren.«
Diese Philosophie der Geburt und des Handelns ist Hannah Arendts Antwort auf Heideggers Philosophie der Eigentlichkeit und des »Seins zum Tode«. Und sie ist auch die Grundlage für ihre Vorstellung von Politik und Demokratie. In einer Welt, in der viele Menschen zusammenleben müssen, garantiert die Fähigkeit zu handeln, dass jeder seine Unverwechselbarkeit behält und dass jeder die Eigenart der anderen nicht als Einschränkung empfindet, sondern als Chance begreift, »im Konzert« mit anderen die Frage nach dem gemeinsamen Leben immer wieder neu zu stellen.
Welche Konsequenzen unser Handeln hat, das weiß niemand genau zu sagen. Aber können wir dann überhaupt Verantwortung übernehmen für ungewollte Folgen unseres Handelns? Und wie können wir garantieren, dass auf unser zukünftiges Verhalten Verlass ist? Dass die Risiken, die zum Handeln gehören, nicht zu unkalkulierbaren Gefahren werden, verdanken wir zwei Fähigkeiten, die eng mit dem Handeln verknüpft sind: der Fähigkeit zu verzeihen und der Fähigkeit, Versprechen zu geben.
Das Verzeihen ist das »Heilmittel« dagegen, dass etwas, das wir mehr oder weniger unwillentlich ausgelöst haben, nicht rückgängig zu machen ist. Und das Versprechengeben versichert uns gegen eine Zukunft, deren »chaotischer Unabsehbarkeit« wir schutzlos ausgeliefert wären. Dazu schreibt Hannah Arendt: »Könnten wir einander nicht vergeben, d. h. uns gegenseitig von den Folgen unserer Taten wieder entbinden, so beschränkte sich unsere Fähigkeit zu handeln gewissermaßen auf eine einzige Tat, deren Folgen uns bis an unser Lebensende im wahrsten Sinne der Wortes verfolgen würden; im Guten wie im Bösen; gerade im Handeln wären wir das Opfer unserer selbst, als seien wir der Zauberlehrling, der das erlösende Wort: Besen, Besen, sei’s gewesen, nicht findet. Ohne uns durch Versprechen für eine ungewisse Zukunft zu binden und auf sie einzurichten, wären wir niemals imstande, die eigene Identität durchzuhalten; wir wären hilflos der Dunkelheit des menschlichen Herzens, seinen Zweideutigkeiten und Widersprüchen, ausgeliefert, verirrt in einem Labyrinth einsamer Stimmungen, aus dem wir nur erlöst werden können durch den Ruf der Mitwelt, die dadurch, dass sie uns auf die Versprechen festlegt, die wir gegeben haben und nun halten sollten, in unserer Identität bestätigt [.. 1. Beide Fähigkeiten können sich somit überhaupt nur unter der Bedingung der Pluralität betätigen, der Anwesenheit von Anderen, die mit-sind und mit-handeln. Denn niemand kann sich selbst verzeihen, und niemand kann sich durch ein Versprechen gebunden fühlen, das er nur sich selbst gegeben hat. Versprechen, die ich mir selbst gebe, und ein Verzeihen, das ich mir selbst gewähre, sind unverbindlich wie Gebärden vor dem Spiegel.« 8
Hannah Arendt stellt ihre Überlegungen zum Arbeiten, zum Herstellen und zum Handeln nicht im luftleeren Raum an. Sie hat dabei immer auch ihre Zeit im Blick, vor allem steht sie unter dem Eindruck des wirtschaftlichen Wachstums und des steigenden Wohlstands in den USA und in Europa. An dieser Entwicklung zeigt sich für sie, dass die verschiedenen Formen der Vita activa durcheinander geraten sind und immer weniger Raum bleibt für weltbildende Tätigkeiten. So erhält das Herstellen durch die Automation und die Arbeitsteilung den Charakter des Arbeitens, wodurch die Produkte, auch wenn sie für einen längeren Gebrauch gedacht sind, zu Konsumgütern werden. Für die moderne Wirtschaft, so meint sie, wäre nichts gefährlicher als »Erhalten und Konservieren«. Und das deutsche Wirtschaftswunder ist für sie ein klassisches Beispiel dafür, »dass unter modernen Bedingungen die Vernichtung von Privateigentum, die Zerstörung der gegenständlichen Welt und die Zertrümmerung der Städte nicht Armut, sondern Reichtum erzeugt«.
Noch bedenklicher ist für Hannah Arendt, dass sich in das politische Handeln Vorstellungen einschleichen, die eigentlich zum Herstellen gehören. Handeln wird somit verstanden als Problemlösen, als Strategie, bei der man mit bestimmten Mitteln ein Ziel erreicht. Für Hannah ist das der
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