Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
verrückter Dummheit. Nicht aus Gründen.« 10
Eine »unverzeihliche Untreue« wäre es gewesen, zu Heidegger alle Brücken abzubrechen. Und Hannah sieht ein, dass sie diese Untreue aus »Stolz« und nicht aus »Gründen«, d. h. wegen seiner Nazi-Vergangenheit begangen hätte.
Sie nimmt Heideggers Einladung an und beide verbringen den Abend in dessen Haus, allein, Elfride Heidegger ist nicht da, An diesem Abend scheint eine sehr offene Aussprache stattgefunden zu haben. »Wir haben«, schreibt Hannah an Heinrich, »zum ersten Mal in unserm Leben miteinander gesprochen.« 11
Heidegger will, dass Hannah vor ihrer Abreise am nächsten Tag noch einmal in sein Haus kommt, um seine Frau kennen zu lernen. Hannah sträubt sich zunächst, sagt aber dann zu. Auf der Rückfahrt in ihr Hotel liest sie »halb verschlafen« den Brief, den Heidegger für sie an der Rezeption abgegeben hatte. Darin erwähnt er, dass seine Frau Elfride über ihre frühere Liebesbeziehung Bescheid weiß.
Das Treffen am nächsten Morgen im Haus der Heideggers verläuft unter großen Spannungen. Heidegger ist viel daran gelegen, dass seine Frau und Hannah Freundschaft schließen, und er will – auch in späteren Briefen – Hannah davon überzeugen, dass Elfride ihm seinen Seitensprung verziehen hat und es gutheißt, wenn sie an die alte Freundschaft wieder anknüpfen. Für Heidegger ist es ein Zeichen der Versöhnung und der Anfang eines Dreierbundes, als Hannah und Elfride sich zum Abschied umarmen.
Hannah erlebt diese Szene anders, viel zwiespältiger. Einerseits ist sie »erschüttert« von der Aufrichtigkeit, mit der Elfride Heidegger ihr begegnet. Andererseits kommt sie nicht darüber hinweg, dass Elfride Heidegger aus ihrer antisemitischen Haltung nie einen Hehl gemacht hat. Auch stört es sie, dass Elfride wegen der Affäre mit ihrem Mann offenbar ein schlechtes Gewissen von ihr erwartet. Zwei Tage nach ihrer Abreise aus Freiburg schreibt Hannah einen Brief an Elfride Heidegger, in dem sie bekräftigt, dass sie sich reuelos zu ihrer großen Liebe bekennt. Und an Heinrich schreibt Hannah am Abend nach dem Treffen in Freiburg: »Heute früh kam dann noch eine Auseinandersetzung mit seiner Frau – die macht ihm seit 25 Jahren, oder seit sie auf irgendeine Weise die Bescherung aus ihm rausgekriegt hat, offenbar die Hölle auf Erden. Und er, der doch notorisch immer und überall lügt, wo er nur kann, hat ebenso offenbar, d. h. wie sich aus dem vertrackten Gespräch zu dritt ergab, nie in all den 25 Jahren geleugnet, dass dies nun einmal die Passion seines Lebens gewesen sei. Die Frau, fürchte ich, wird, solange ich lebe, bereit sein, alle Juden zu ersäufen. Sie ist leider einfach mordsdämlich. Aber ich werde versuchen einzurenken, soweit ich kann.« 12
Baden-Baden, Rastatt, Wiesbaden, Koblenz, Kassel, Marburg – das sind die nächsten Situationen von Hannahs Reise. Dazu kommt noch ein Besuch bei Anne Weil in Paris und ein Abstecher nach London zu Eva Beerwald. Am Ende dieses Parcours ist sie »leicht verdummt« und hat einen Hexenschuss.
Am 1S. März tritt Hannah die Rückreise in die Staaten an. Diesmal mit dem Schiff, zur großen Erleichterung Heinrichs, der ihr Pillen gegen die Seekrankheit schicken muss. Hannah reist sehr ungern mit dem Schiff, besonders wenn es überfüllt ist. Dann kommt sie sich vor »wie in einem Konzentrationslager erster Klasse«.
Heinrich ist während Hannahs Abwesenheit klar geworden, dass Einsamkeit etwas ganz anderes ist als Verlassenheit. Wenn er einsam sei, so schreibt er einmal in einem Brief, dann genieße er das. Unter seiner Verlassenheit aber leide er.
Viel Gelegenheit, einsam zu sein, hatte Heinrich freilich nicht. Während Hannah in Europa war, vermietete er einen Teil der Wohnung an einen Maler namens Krauskopf, der mit Frau und Baby einzog. Einmal mussten er und die Familie Krauskopf mitten in der Nacht ins Treppenhaus flüchten, weil in der Wohnung unter der ihren Feuer ausgebrochen war. Heinrich kümmerte sich auch um Hilde Fränkel, eine gemeinsame Freundin in New York, die unheilbar an Krebs erkrankt ist. Und da im Freundeskreis seine sensible, aber bestimmte Art geschätzt wird, wurde er in »fünf seelische Krisen, der Reihenfolge nach eine fürchterlicher als die vorige«, hineingezogen, unter anderem sollte er die Ehe von Alfred und Carol Kazin retten. Als dann Hermann Broch und Annemarie Meier-Gräfe heirateten, fungierte er als Trauzeuge. Beim Champagnerumtrunk nach der Trauung
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