Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
könnte. Arbeit gehört für sie zur Conditio humana, zum menschlichen Leben. Aber davon mache die Arbeit eben nur einen Teil aus und deswegen müsse man sie auf jenen Bereich eingrenzen, den Hannah Arendt das »Private« nennt. Im Privaten hat all das seinen Platz, was keine Welt erzeugt und darum ein »Recht auf Verborgenheit« hat.
Anders als beim Arbeiten entstehen beim Herstellen Gegenstände, die sich dem schnellen Konsum widersetzen. Möbel zum Beispiel oder Gebäude, bestimmte Gebrauchsgegenstände und auch Kunstwerke. Diese Dinge sind haltbar und beständig. Sie überdauern oft Generationen, sie bereichern unsere Welt und bringen eine gewisse Stabilität in unser Leben. Um beim vorigen Beispiel zu bleiben: Wenn ich einen Baum fälle und daraus einen Tisch herstelle, so wird der fertige Tisch ein Teil des gemeinsamen Lebens. Er steht im wahrsten Sinn des Wortes zwischen den Menschen und verbindet sie gleichzeitig, wenn sie um ihn herumsitzen.
Im Unterschied zum Arbeiten vollzieht sich das Herstellen nicht in einer ständigen Wiederholung. Es ist eine zielgerichtete Tätigkeit. Der Homo faber, der herstellende Mensch, hat ein Modell von dem, was er machen will, vor Augen, und wenn er es verwirklicht hat, ist auch der Herstellungsprozess beendet. Was dann mit dem fertigen Gegenstand weiter geschieht, das entzieht sich der Kontrolle des Erzeugers. Es lässt sich nicht sagen, was damit geschieht. Das Produkt gewinnt sozusagen ein Eigenleben, es reiht sich ein in die Dinge, die uns im Alltag umgeben. Dennoch entwächst es nie ganz der menschlichen Kontrolle. Es bleibt verfügbar im Gebrauch, bis es abgenutzt oder unbrauchbar ist. Mit anderen Worten: Das Herstellen ist zwar weltbildend, aber es ist keine Tätigkeit, in der echte Offenheit, Unberechenbarkeit herrscht. Die Gegenstände, die daraus hervorgehen, sind festgelegt durch ihren Nutzen für den Menschen. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Hannah Arendt meint, der nur arbeitende Mensch verstehe nicht, »was Zweck ist«; der Homo faber wisse zwar, was Zweck ist, aber er verstehe nicht, »was Sinn ist«.
Echte Offenheit und Freiheit gibt es für Hannah Arendt nur im Handeln. Unter Handeln versteht sie im weitesten Sinne den Umgang von Menschen mit Menschen in Tat und Wort. Im Vergleich zum Herstellen gibt es hier kein vorausbestimmbares Ende. Ein Handelnder steht immer im Beziehungsgeflecht zu Menschen und kann deswegen nie etwas ungestört anfangen oder zu Ende bringen. Ein Wort kann Auswirkungen haben, die niemand vorhersehen kann, eine Handlung kann auf einen Schlag alles ändern und völlig neue Bedingungen schaffen.
Im Handeln verwirklicht der Mensch für Hannah Arendt seine höchste Fähigkeit, nämlich die Gabe, etwas völlig Neues zu beginnen und einen Prozess in Gang zu setzen, dessen Folgen unabsehbar sind. Für diese Fähigkeit prägt sie das Wort »Natalität« oder, verdeutscht, »Gebürtlichkeit«. Damit wendet sie sich gegen jene Philosophen wie Heidegger, für die das menschliche Leben in erster Linie dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich auf den Tod zubewegt wie die Maus in einer Fabel von Franz Kafka, die vom weiten Feld in immer engere Räume läuft, bis sie schließlich in einem Zimmer landet, wo in der Ecke schon die Katze wartet.
Für Hannah Arendt ist nicht der Ausblick auf den Tod, sondern der Rückblick auf die Geburt die Quelle jedes wirklichen Handelns. Wenn der Tod der große Gleichmacher ist, so ist für sie die Geburt dasjenige Ereignis, das die Einmaligkeit jedes Menschen begründet. Und nur wer einzigartig ist, kann auch wieder etwas ganz Neues in die Welt bringen. Dazu schreibt Hannah Arendt: »Weil jeder Mensch aufgrund des Geboren-seins ein initium, ein Anfang und Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen. [...] Der Neuanfang steht stets im Widerspruch zu statistisch erfassbaren Wahrscheinlichkeiten, er ist immer das unendlich Unwahrscheinliche; er mutet uns daher, wo wir ihm in lebendiger Erfahrung begegnen
immer wie ein Wunder an.« 7
Das Handeln und das Sprechen sind für Hannah jene Tätigkeiten, in denen sich das Geborenwerden sozusagen immer wieder neu ereignet. Wer ich bin, das kann ich nicht erfahren und festhalten in passiver und sprachloser Zurückgezogenheit. Erst wenn ich spreche und handle, gebe ich Aufschluss über mich, zeige mich und gebe mich auch aus der Hand. Denn die Eigenart eines Menschen ist für Hannah Arendt
Weitere Kostenlose Bücher