Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Versuch, Kontrollierbarkeit auf einem Gebiet zu erreichen, wo es grundsätzlich keine Sicherheit geben kann und man mit Risiken und Gefahren umgehen muss.
Im Juli 1960 finden in den USA die Parteikonferenzen zur Ernennung der Präsidentschaftskandidaten statt. Hannah und Heinrich schauen sich die Debatten bei Freunden im Fernseher an. Es ist das erste Mal, dass diese Debatten im Fernsehen übertragen werden, und für Hannah ist die neue Technik »ein Segen«. Auf sie macht der Kandidat der Demokratischen Partei, John F. Kennedy, den besten Eindruck. Bei den Republikanern wird der bisherige Vizepräsident Richard Nixon nominiert, den sie »ziemlich grässlich« findet.
Hannah verbindet mit dem jungen, erst dreiundvierzigjährigen Kennedy viele Hoffnungen. Nach der geistigen Lähmung der McCarthy-Ära und der ständigen Kriegsgefahr erwartet sie von ihm einen neuen Anfang in der amerikanischen Politik.
XVII. Das Gespenst in der Glaskiste
»Ich weiß nicht, wie oft ich gelacht habe, aber laut!«
Im August 1960 verbringen Hannah Arendt und Heinrich Blücher ihre Ferien wieder in den Catskill Mountains, dieses Mal im kleinen Ort Haines Falls, in einer Pension, die im Schweizer Stil gebaut ist und in der der Wirt wie die Gäste nur »Schwyzer Dütsch« reden. Ferien bedeuten für Hannah auch, ungestört arbeiten zu können. Sie hat sich viel vorgenommen. Sie soll an zwei Kongressen in New York teilnehmen; im Herbst will sie an der Columbia University Seminare halten, sie will eine Aufsatzsammlung herausgeben und sie schreibt an einem neuen Buch. Darin will sie anhand der Französischen und der Amerikanischen Revolution darlegen, was eine Revolution eigentlich ist.
Wenn Hannah von ihren Manuskripten genug hat, geht sie zum Baden zu den natürlichen Bassins, die von einem Wasserfall gebildet werden, oder sie wandert in den Bergen, die ihr alle schon vertraut sind, und abends zeigt ihr Heinrich, wie man Billard spielt. Heinrich läuft mit einem großen Cowboyhut herum und sieht aus, »als sei er gerade einem Western entstiegen«.
In den Zeitungen, die Hannah und Heinrich lesen, ist natürlich das Thema Nummer eins die bevorstehende Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten. Aber noch ein anderes Ereignis beherrscht die Nachrichten. Adolf Eichmann, ein geflüchteter Nazi, der eine zentrale Rolle bei der Judenvernichtung gespielt hat, ist vom israelischen Geheimdienst in Argentinien entführt worden. Ihm soll nun in Jerusalem der Prozess gemacht werden.
Eichmann, wie Hannah Arendt 1906 geboren, lebte nach 1945 zunächst inkognito als Holzfäller in der Lüneburger Heide. 1950 setzte er sich nach Argentinien ab. Er ließ seine Frau und seine Kinder nachkommen und baute sich unter dem Namen Ricarda Klement in einem Vorort von Buenos Aires, wo er als Autoschlosser arbeitete, ein neues Leben auf. Am 11. Mai 1960 wurde er von israelischen Agenten gekidnappt, eine Woche lang versteckt und dann nach Israel gebracht.
Hannah Arendt lässt der Fall Eichmann nun nicht mehr los. Sie hat Deutschland sehr früh verlassen und die Nazi-Diktatur nur aus der Ferne mitbekommen. Der Prozess gegen Eichmann ist für sie vielleicht die letzte Chance, einen typischen Vertreter der Naziherrschaft zu erleben.
Als sie wieder in New York zurück ist, schreibt sie drei Zeilen an Robert Shawn von der Zeitschrift The New Yorker , in denen sie anfragt, ob er daran interessiert sei, sie als Prozessberichterstatterin nach Jerusalem zu schicken. Die Antwort kommt prompt und spricht für Hannahs Ansehen: Ihr Angebot wird angenommen und alle Kosten der Reise werden ihr vom New Yorker bezahlt.
Diese neuen Aussichten bringen ihre Pläne gewaltig durcheinander. Sie ist für das kommende Jahr schon viele Verpflichtungen eingegangen. Und vor allem ist es ihr gelungen, Heinrich endlich zu einer gemeinsamen Europareise zu überreden. Die Verpflichtungen sagt Hannah ab oder verschiebt sie. Die gemeinsame Reise mit Heinrich will sie auf keinen Fall scheitern lassen. Die beiden vereinbaren, dass Hannah im Frühjahr nach Israel fliegt, dort einige Wochen den Prozess verfolgt und dann die Zeit bis zu Heinrichs Ankunft im Juni in der Schweiz und in Deutschland verbringt. Gemeinsam wollen sie dann nach Italien und Griechenland reisen und die Jaspers besuchen.
Im November finden die Präsidentschaftswahlen statt. Hannah und Heinrich sitzen fast 24 Stunden vor dem Fernseher und verfolgen die Entscheidung. Kennedy macht schließlich das Rennen, nur mit einem halben
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