Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)

registrierte er Liwy unweit neben sich. Die Frau wirkte weit weniger überrascht, als er vermutet hätte. Bei der Schöpferin, sie hatte es gewusst! Sie hatte es geplant .
    Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube und ließ ihn keuchen. Nicht er hatte sie um den Finger gewickelt, sondern sie ihn . Sie musste dafür gesorgt haben, dass Crevi zugegen war. Irgendwie…
    Nur wie? Und warum?
    Noch immer brannten sich Crevis weit aufgerissene Augen glühenden Kohlen gleich in sein Gedächtnis. Ihre Lippen bebten und ihre Kiefer waren fest aufeinander gepresst, die Hände zu Fäusten geballt.
    Er rang nach Atem.
    Als ihm die volle Bedeutung dessen, was soeben geschehen war, bewusst wurde, sank er in die Knie. Vlain konnte sich nicht länger auf den Beinen halten. Schmerz durchzog seine Brust und erschwerte ihm das Luft holen. Bei Gott, was musste sie nur denken? Selbst in seinen schlimmsten Albträumen vermochte er sich dies nicht vorzustellen.
    Zusammenhangslose Gedankenfetzen schwirrten durch seinen schmerzenden Kopf, brachten seine Schläfen zum Pochen und seine Augen zum Brennen. Was hatte er getan? Was hatte er sich dabei gedacht? Er hätte es wissen müssen. Früher oder später hätte sie es ohnehin erfahren – oder nicht? Nur nicht so… Nicht jetzt. Noch nicht.
    Bitte, nicht.
    Instinktiv versuchte er , das Ausmaß des Schadens abzuschätzen.
    Sinnlos.
    Bitte, bitte nicht.
    Sie durfte nicht wissen, was in Wahrheit geschehen war.
    Er ertrug die Vorstellung nicht länger, dass sie litt.
    Was hatte er ihr nur angetan?
    Nichts, das er noch sagen konnte, würde das aufwiegen, was sie ihn soeben hatte sagen hören.
    Es war vertan.
    Alles war vertan.
    Lodernder Selbsthass flammte tief in seinem Inneren auf.
    »Es freut mich, dass du kommen konntest, Schöpferin«, durchschnitt Liwys Stimme seine wirren Gedanken. »Ich hoffe, ich habe dir einen Gefallen erwiesen. Und, dass du nun etwas klarer siehst.« Ein kleines gemeines Lächeln spielte um die Mundwinkel der Schlange.
    Vlains kleine Welt, die er stets bestens zu verstehen geglaubt hatte, zerbarst in tausend winzige Splitter.
    »Sparen Sie sich das!«, entgegnete eine wutverzerrte männliche Stimme, die er nicht auf Anhieb zuordnen konnte. »Wenn Sie sie töten wollen, kommen Sie her und kämpfen Sie fair!«
    Vlain hob den Kopf und versuchte, seine Sicht zu klären und den alles betäubenden Nebel aus seinem Kopf zu verdrängen. Er fühlte sich wie lebendig begraben, so leer war sein Verstand. Verschwommen erkannte er, wie eine schwarz gekleidete Gestalt Crevi aus dem geplünderten Gebäude schob.
    Liwy schüttelte den Kopf, als hätte der Dieb, als den Vlain ihn nun erkannte, etwas durch und durch Dummes gesagt. »Ich will sie nicht töten, Phantom. Dies ist nicht meine Aufgabe, sondern seine.«
    Sie deutete auf Vlain.
    »Er ist der Mörder.«
    Hätte er widersprechen sollen? Alles war gesagt.
    »Was wollen Sie dann?«, fragte Ennyd misstrauisch, wobei er Crevi wie eine verlorene Puppe an sich drückte.
    Die junge Frau ließ dies widerstandslos geschehen, ließ sich von ihrem >Retter< stützen. Ihr müder Blick glitt zu Liwy, wanderte weiter zu Vlains Gesicht. Und kurz flackerte ein bitterer Hauch von Verachtung in ihrer blauen Iris auf, dann senkte sie die Lider zu Boden, als wolle sie nichts mehr von alledem sehen.
    Vlain wäre auf der Stelle kraft seines Willens gestorben, wenn er nur von diesem Anblick hätte erlöst werden können. Es war die Gewissheit, die ihn so sehr schmerzte, dass sie durch sein Zutun innerlich zerrissen war, dass er ihr solchen Kummer bereitet hatte.
    Crevi tat nur Recht, ihn zu verachten. Er tat es selbst schon lange genug.
    Wieso hatte ihn dies nicht davon abgehalten, es jemals soweit kommen zu lassen?
    Weil du ein böser, böser Mensch bist , gab ihm sein Dämon die Antwort.
    Die Gleichgültigkeit, die aus ihrer Haltung sprach, ließ ihn erschaudern.
    »Was will ich…?« Liwy ließ sich die Frage auf der Zunge zergehen. »Ah, Master Riddle, Sie sind so überaus feinfühlig. Sie sind der erste heute Abend, der nach meinen Bedürfnissen fragt. Wenn ich es Recht bedenke, sind Sie der Erste seit Jahren, der das tut. Applaus.«
    Tatsächlich erklangen einige lahme Klatscher, die Vlain – sowie Ennyd – herumfahren ließen. Ein Trupp Dämonen näherte sich von links.
    Crevi und Ennyd wichen zurück.
    » Nun zu meiner Antwort auf diese noble Frage«, Liwy ließ die Dämonen mit einer fahrigen Handbewegung innehalten. »Ich