Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
möchte, dass ihr von hier verschwindet. Ihr habt freies Geleit. Heute ist nicht der rechte Zeitpunkt. Schlimme, schlimme Dinge sind ans Licht gekommen. Dies sollte allemal genügen.«
Die beiden tauschten einen unentschiedenen Blick.
»Ich bitte darum. Ihr könnt gehen.«
Zögernd kamen die beiden ihrer Aufforderung nach.
Und die Dämonen ließen sie ziehen.
Einfach so.
»Du solltest mir danken«, vernahm Vlain Liwy plötzlich dicht neben sich.
Sofort sprang er auf und entfernte sich von ihr. Ihre Nähe war ihm unerträglich . »Danken?«, schnappte er in ihre Richtung und seine Stimme wurde zu einem tiefen Grollen. »Warum das alles, Liwy?«
» Ich habe dir soeben deine Beichte abgenommen, oder nicht? Du solltest nun weitaus besser in der Lage sein, deine Aufgabe zu erfüllen. Diese Bindung zwischen dir und ihr war dabei nur im Weg.«
» Im Weg?«
» Ja.«
Zorn durchflutete ihn. Selbst die Leere wurde davon überlagert. Schallend traf seine Handfläche ihre Wange, warf sie von den Beinen und ließ sie rücklings im Dreck landen.
Sofort traten die anderen Dämonen auf ihn zu.
» Nicht«, hustete Liwy und hielt sie mit einem Wink zurück. »Vlain, ich habe das Richtige getan! Ich schwöre dir, bald wird sie ihr wahres Gesicht zeigen. Sie wird das Heilmittel vernichten wollen, das dürfen wir nicht zulassen.«
» Du weißt nicht im Entferntesten, was du da redest.« Bedrohlich baute er sich über ihr auf, blickte auf sie hinab. »Du bist kein Deut besser als ich, Liwy. Du bist es nicht einmal wert, dass man deinem jämmerlichen Dasein ein Ende bereitet.«
Ohne zurückzublicken wandte er sich ab, ließ die anderen Dämonen stehen und trabte in schnellem Lauf davon. Er musste zurück. So schnell wie möglich. Zu Crevi und den anderen. Unbedingt. Dann würde er weitersehen.
Im Laufen begann er seine Kleidung abzustreifen und band sie sich geschickt mit seinem Gürtel um sein rechtes Bein. Dann rief er seinen Dämon herbei. Spürte ihn kommen und seinen Körper sich verformen. Es tat nicht einmal weh. Seine Sicht veränderte sich und seine Bewegungen wurden geschmeidiger. Schneller, immer schneller. Doch noch während er lief stachen ihm die ersten heißen Tränen in den Augenwinkeln und er spürte den entsetzlichen Schmerz dessen, was in seiner Brust zerrissen war.
VI . Gynster Marbelle
4. Ehrlichkeit währt am längsten
Schimmerndes Sonnenlicht brach sich in der Perle zwischen ihrem Zeige- und Mittelfinger.
Yve fühlte sich an das zersplitterte Fenster erinnert, durch das ihre Tante sich in ihrer Verzweiflung gestürzt hatte. Sie war machtlos gewesen, nur ein fünfzehnjähriges Mädchen, das auf den pendelnden Leichnam hinunter geschaut und sich nichts Böses dabei gedacht hatte. Noch hatte sie nicht begriffen, was tatsächlich geschehen war.
Wieder und wieder kaute sie auf dem Ereignis herum, spielte es vor- und zurück, abertausende Male vor ihrem inneren Auge ab und fragte sich, ob sie es nicht hätte verhindern können.
Machtlosigkeit. Wie sehr Yve es verabscheute. So lieblos, so alleine, so verzweifelt hatte die Frau, die sie wie eine Mutter geliebt hatte, einer Puppe gleich über der Straße gebaumelt.
Nachdem Yve dem rachsüchtigen Griff des alten Giftmischers entkommen war, hatte sie sich geschworen, nie wieder – zumindest nicht schutzlos – einem Feind in die Finger zu geraten. Nicht zuletzt hatte sie dafür die Degenstunden bei Ferzo genommen.
Viel genutzt hatte ihr die Waffe gegen diese Art von Feind, mit dem sie es nun zu tun hatte, allerdings nicht.
» Yve«, riss sie eine inzwischen vertraute Stimme zurück in die Gegenwart.
» Hä?« Sie blinzelte.
» Die Perle«, sagte ich und schloss rasch eine Hand um ihre. Das Schimmern erstarb.
Peinlich berührt senkte sie den Blick. Unachtsamkeit konnte einen in den ungünstigsten Momenten überraschen. Ein klarer Kopf stand an erster Stelle! Man konnte schließlich nie vorsichtig genug sein. Es war ihr unangenehm, von mir daran erinnert worden zu sein.
Schnell ließ sie die Perle zurück in ihre Jackentasche gleiten.
» Wie lange warten wir hier eigentlich schon?«, fragte sie und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Betrachtete die Menschen, die in einer langen Schlange vor uns standen.
Die Minuten schleppten sich dahin. Durch die Scheibe mit den ausgestellten Süßwaren, Küchlein und anderen Gebäcken, die die Kundschaft ansprachen, erkannte sie, dass es zu dämmern begann.
»Eine Weile«, antwortete ich
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