Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
schmunzelte verhalten, während Ennyd empört zu einer Erwiderung ansetzte.
Das Knarren der Haustür ließ ihn jedoch innehalten. Vlain trat schweigend und in einen zernarbten Ledermantel gehüllt in den kleinen Raum – den hatte er zuvor nicht getragen! Er blickte in die Runde und rang sich allenfalls ein knappes Nicken ab.
» Diese Runde geht an dich, widerliches Weibsstück«, raunte Ennyd ihr zu. Fast hätte man seine Bemerkung für eine bloße Neckerei halten können, doch Yve war nicht so dumm, darauf hereinzufallen. »Es wird sich zeigen, wer den nächsten Sieg erzielt.«
Ohne sie länger zu beachten, richtete Ennyd seinen Fokus nun auf Vlain, der bereits auf halbem Weg zur Treppe in die erste Etage war . »Unser mürrischer Freund kehrt also doch noch zurück?«
Der Angesprochene hielt abrupt inne . »Bedauerlich, was, Ennyd?«
» Tatsächlich hatte ich gehofft, du hättest dich gegen unsere heitere Gruppe freundlicher Gesellen entschieden und das Weite gesucht. Es hätte mich nicht einmal gewundert«, gab der Dieb unumwunden zu.
Vlain musterte den Mann mit kalter Berechnung und Yve fragte sich, ob er sich wohl ausmalte, wie er ihm voller Genugtuung den Schädel einschlug. Sie jedenfalls hätte im Augenblick nicht das Geringste dagegen. Bevor sich die unangenehme Stille allzu sehr in die Länge ziehen konnte, ergriff ich, um einen beiläufigen Tonfall bemüht, das Wort.
»Vlain, hast du denn alle Geschäfte erledigen können?«
Yve merkte, wie ihre Schultern etwas enttäuscht nach unten sanken. Adrian der große Streitschlichter . Sie wusste nur zu gut, dass meine Bemühungen zumeist zwecklos waren. Doch gerade deshalb faszinierten sie meine unermüdlichen Versuche, die Dinge ins rechte Lot zu rücken. Ich gab einfach nicht auf.
» Ja.« Vlains Kiefer entspannte sich etwas.
» Ich wette, es waren blutige Geschäfte«, warf Ennyd todernst ein.
» Wie gut, dass du so genau Bescheid weißt.« Damit machte der Dämon auf dem Absatz kehrt und setzte seinen Weg nach oben fort.
Yve folgte ihm – nur für alle Fälle.
5. Von vagen Vermutungen
Wo bist du nur mit deinen Gedanken? , erteilte ich mir selbst eine Rüge, als ein Kutschfahrer sich über meine Unachtsamkeit empörte und ich erschrocken von der Straße zurücksprang.
» Uh.«
Kurz spürte ich Vlains kräftige Hand auf meiner Schulter.
Ohne Frage war ihm seine Reaktion ob meiner Tollpatschigkeit unangenehm. Kurz zögerte ich, mit den Worten herauszurücken, tat es dann aber doch. Unverblümt. Indiskret. Es war an der Zeit. »Um Himmelwillen, Vlain«, sprach ich mit leiser Stimme zu ihm – und diesmal achtete ich darauf, das nächste Gefährt abzuwarten. »Zier dich nicht so.«
Wir überquerten die Straße und verschmolzen mit der Menge. Hatte ich erwähnt, dass Gynster Marbelle die freie Stadt der Makelhaften ist? Wenn nicht, tue ich dies jetzt. Schon seit alters her ist die Stadt der schwarzen Türme das unerkannte Ebenbild Ral’is Doshts. Ein Ort, an dem die Teufelskinder in Freiheit, untereinander und versteckt vor den Augen der Regierung leben. Nur, dass sich hier niemand verstecken muss, denn Irdische sind blind für das allzu Offensichtliche. Hier findet man Schutz in der Öffentlichkeit und nicht im Verborgenen.
Das Ministerium besitzt die Macht und zieht die Fäden. Weit, weit unter der Stadt. Gynster Marbelle war und ist seit jeher eine rätselhafte Stadt. Sie ist schon immer das Zuhause unzähliger Teufelskinder und der Sitz der Garde. Aber genug des Geschwafels, man sollte niemals viele Worte über die Institution verlieren.
Anstelle einer Erwiderung erntete ich den mürrischen Blick des Dämons.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich noch sagen soll«, gab ich es schließlich auf. Ich senkte den Kopf, fuhr mir durch die Haare und kniff die Augen gegen die frische Brise leichten Nieselregens zusammen, der uns in die Gesichter wehte.
» Ich auch nicht.«
Fragend wanderten meine Augenbrauen in die Höhe.
Vlain zuckte mit den Schultern und stieß weiße Wölkchen seines Atems aus. »Wie heißt noch gleich das alte Sprichwort? Ach ja. Es gibt Dinge, über die schweigt man lieber. Ist es nicht so?«
» Durchaus.«
» Du siehst, wie es um die Dinge bestellt ist. Weshalb viele Worte darüber verlieren?«, brummte er.
» Manchmal hilft es, darüber zu reden.«
» Mir ist nicht mehr zu helfen.«
Ich zuckte zusammen, wusste nicht recht, was ich darauf sagen sollte. Vielleicht war es naiv gewesen zu glauben, ich könnte
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