Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
schreckliche Angst hatte, ihre Freundschaft kaputt gemacht zu haben.
Nachdem die Wahrheit, die ganze Wahrheit mit all ihren Facetten , offenbar geworden war, war unsere kleine Gemeinschaft unweigerlich zerbrochen.
Yve vermisste Reird. So sehr. Sie konnte nicht umhin, zu denken, wie sehr sie sich nach seinem Trost sehnte. Nur musste sie vorerst mit Jayden und mir vorlieb nehmen.
Mit Vlain hatte sie seit Wochen kaum ein Wort gewechselt, geschweige denn mit Crevi oder gar Ennyd, den sie von Anfang an nicht hatte leiden können.
Wie musste das alles erst für Crevi sein? Yve konnte beim besten Willen nicht verstehen, wie sie es ertragen konnte, Vlain nach wie vor ständig um sich zu haben.
»Wenn ich mich nicht täusche, ist es nicht mehr weit«, unternahm ich einen halbherzigen Versuch zu ihrer Aufmunterung.
Positiv denken , sagte sie sich. Nur so hatte sie die Jahre in der Höllenstadt eines nach dem anderen überstehen können, ohne wahnsinnig zu werden.
An einem kleinen Ecklädchen kurz vor unserem Ziel kaufte Yve eine Tafel Schokolade, mit der sie hoffte , Crevi ein wenig aufheitern zu können. Sie fand, dass es einen Versuch wert war.
Ich quittierte diese Geste mit einem müden Lächeln, woraufhin sie sich für eine weitere entschied und sie mir überreichte . »Ich bin eben ein herzensguter Mensch«, sagte sie Schultern zuckend, als sie meine Verlegenheit bemerkte und grinste auf ihre optimistisch-positive Art. »Nimm schon.«
Damit war das Thema für sie abgehakt.
Als wir in den alten Wachturm kamen, wurden wir bereits von zwei langen Gesichtern erwartet. Bei genauerer Betrachtung unserer neuen Bleibe, erlosch auch der letzte Funken gute Laune bei Yve. Sie hatte sich doch ein wenig mehr von unserer Rückkehr in die Zivilisation erhofft!
Der aufquellende Putz schälte sich von den feuchten Wänden. Ein intensiver Geruch von Fäulnis, Verfall und Moder hing in der Luft und verdarb Yve den letzten Rest Appetit, den sie sich mühevoll bewahrt hatte. Schimmel hatte sich in den Ecken gesammelt, das wenige Mobiliar war von Würmern zerfressen, die Stühle sahen aus, als würden sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Kleine, enge Fenster, milchige Scheiben, dreckige Wandverkleidungen, trübe Lampen.
Sie war es leid. Die schwermütigen Gesichter in der Runde, die verwahrlosten Unterkünfte, das schlechte magere Essen, die gedrückte Stimmung. Ihr war es ein Rätsel, wer sich bei dieser Mischung aus freudloser Gesellschaft und Trostlosigkeit nicht krank fühlte.
»Jayden kocht heute«, begrüßte Ennyd uns. Er saß an einem schmutzigweißen Holztischchen, das viel zu wenig Platz für sechs Personen bot und blätterte in einem Heftchen, das Yve für eine Stadtbroschüre hielt. »Das Brot bitte darüber.« Er deutete auf die Arbeitsplatte, auf der der Bettler bereits mit der Zubereitung des Abendessens begonnen hatte. Kurz wunderte sie sich wieder, dass ihre Luxussuite überhaupt eine Küchenzeile besaß.
» Was gibt’s denn zu essen?«, erkundigte sie sich.
» Suppe«, antwortete ihr Jayden über die Schulter.
» Suppe?«
» Kartoffelsuppe.«
» Oh.«
» Nicht begeistert?« Ennyd nahm die Stiefel vom Tisch und setzte sich auf. Fast ein wenig lauernd sah er sie nun an. »Wählerisch, wie? Die berühmte Rebellin ist sich zu gut, um sich mit Suppe zufrieden zu geben? Man sollte meinen…«
Schlechte Laune war eine Sache, sie an ihr auszulassen eine andere . »Was hast du denn für ein Problem?«, fauchte Yve ihn an. »Sagt man nicht immer, Diebe hätten gute Manieren?«
» Ich habe keine guten Manieren? Ich freue mich, dass wir seit Wochen überhaupt etwas Warmes auf den Tisch bekommen. Du könntest dem lobenswerten Einsatz unseres Freundes zumindest ein wenig mehr Anerkennung zollen. Oder wie wäre es, wenn du stattdessen seinen Part übernimmst? Dann brauchst du dich jedenfalls nicht mehr zu beschweren. – Kochen ist ohnehin Frauensache.«
» Ach?« Sie dachte an ihre miserablen Kochkünste und an Reirds geradezu unheimliches Talent, ihr kulinarische Köstlichkeiten auf den Teller zu zaubern. »Meinetwegen kann ich kochen, falls du die Verantwortung dafür tragen willst, wenn wir alle an einer Lebensmittelvergiftung erkranken. Obwohl«, Yve tippte sich nachdenklich an die Unterlippe und setzte ein gemeines Lächeln auf, »ich zugeben muss, dass es mir durchaus gefallen würde, dich kotzend am Boden kriechen zu sehen. Sogar ausgesprochen gut.«
Jayden unterdrückte prustend ein Auflachen. Ich
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