Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
zurückgelegt hat«, rückte ich mit der Sprache heraus.
» Wie kommst du darauf ?«
» Ich gebe zu, es ist ein wenig weit hergeholt, Yve, aber die Reime in den Briefen sind aus einem Gedicht. Und dieses Gedicht hat mehr als diese drei Strophen, von denen wir bereits wissen. Könnte es nicht sein, dass sich an jedem Ort, der in den Versen und weiteren Strophen erwähnt wird, eine Perle befindet?«
Zunächst erntete ich nur verwirrte Blicke.
Nur war ich ziemlich stolz auf meine Überlegung, das musste ich wohl zugeben, weshalb ich mich durch die fragenden Gesichter nicht von meiner Überlegung abbringen ließ. Gespannt wartete ich auf weitere Meinungen.
» Kennst du das Gedicht?«
» Es ist ziemlich alt«, versuchte ich, mein Wissen zu begründen, da Vlain nicht so aussah, als hätte er jemals vor Joseph Sullivans Briefen von dem Perlengedicht gehört. »Und früher war es sehr bekannt. Weißt du, zu meiner Zeit…« Ich hüstelte. »Früher hat man es in der Schule gelesen. Also ja, ich kenne es.«
» Das würde einige Dinge ändern«, murmelte Crevi.
» Nur kenne ich den genauen Wortlaut nicht.«
Gab es nicht immer einen Haken?
Schließlich waren wir dabei verblieben, die exakte Übersetzung des Gedichts in Erfahrung zu bringen und für den Fall der Fälle, sollte meine Vermutung nicht mehr als eine vage Vermutung bleiben, weitere Nachforschungen bezüglich eines Gegenmittels anzustellen.
So waren wir also hier. An einem Ort, mit dem sowohl Vlain als auch ich einige Erinnerungen verbanden. Beide hatten wir hinter den schwarzen Mauern der Lehranstalt studiert. Beide hatten wir mehrere Jahre hier verbracht, mehrere Jahre, in denen sich alles und doch wieder nichts ereignet hatte.
Vlain hätte diesen Gedankengang bestätigt.
Groß, unbeugsam und fast ein wenig majestätisch ragten die dunklen Gebäudekomplexe hinter der nächsten Hausecke auf. Versperrt wurde die breite Auffahrt von einem schwarzen Eisentor, hinter dem man einer Allee hinauf zum Eingang des Hauptgebäudes folgte. Dies war nicht der Eingang, den wir zu nehmen gedachten.
Gewitzten Einbrechern gleich schlenderten wir einmal um das Grundstück herum, bis wir zu einer rostigen Tür in einer mit Kletterpflanzen bewachsenen Mauer kamen, die auf den Hinterhof der Universität führte . »Klettern?«
» Klettern«, antwortete ich und begann mich an der Mauer hinaufzuangeln. Allemal sicherer, als ein geknacktes Schloss zu hinterlassen.
Nachdem Vlain und ich es auf die andere Seite geschafft hatten, zupften wir uns penibel die Blätter von der Kleidung.
Als sich unsere Blicke begegneten, grinste Vlain.
Und ich grinste zurück.
Fast war es wie damals, als wir uns des Öfteren während der langen Lesungen einschläfernder Professoren heimlich in die Stadt gestohlen hatten. Nur, dass wir damals zu viert gewesen waren.
» Die guten alten Zeiten«, kicherte er und schlich sogleich auf den Dienstboteneingang zu, der stets offen stand – und faulen Studenten die Möglichkeit bot, sich unbemerkt davonzustehlen.
Ich folgte ihm langsam, jedoch wachsam und suchte jeden dunklen Winkel des Hofes nach eventuellen Beobachtern ab. Man konnte nie wissen, ob uns die Bande erneut auflauerte oder gar weitere Schergen geschickt hatte, die uns in Gynster Marbelle erwarten sollten.
Deswegen die Heimlichtuerei.
Vlain hielt mir geduldig wartend die Hintertür auf, woraufhin ich mich beeilte, zu ihm aufzuschließen.
Kurz durchfuhr mich ein Stich der Sorge, wie es unseren Freunden wohl erging. Welche Geheimnisse sich Crevi und Yve wohl soeben offenbarten? Welche Neuigkeiten erfuhren sie, die uns von Nutzen sein konnten? Vermutlich waren die beiden Frauen soeben zu Ennyd und Jayden gestoßen, mit denen sie sich an jenen Ort begeben würden, der für seine Gerüchte bekannt ist.
Die Feuergrube, nennt man den Stadtteil, der die Zugänge zu den unterirdischen Katakomben enthält und allerlei zwielichtiges Volk beherbergt. Einen Ort, an dem Schwarzhandel getrieben, verbotene Ware feilgeboten wird und dessen Bewohner so verlogen und undurchsichtig sind wie der wolkenüberzogene Himmel, der sich über unseren Köpfen spannte. Gefährliches Gesindel haust dort, unter ihm nicht wenige Teufelskinder, Diebesgilden und Halsabschneider aller Art.
Kurzum. Kein Ort, an dem ich Crevi in Sicherheit glaubte. Wenngleich Ennyd uns beteuert hatte, er würde vorsichtig sein und »auf die beiden Mädels aufpassen«, so hatte er sich ausgedrückt.
» Du machst dir Sorgen«, stellte
Weitere Kostenlose Bücher