Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
irgendetwas ausrichten. Was könnte ich schon tun? Wer war ich schon? Ein Seelendieb in einem marionettengleichen Körper, der längst dem Verfall hätte anheim fallen sollen? Ein gebrochener Mann, der sich selbst nicht zu helfen wusste und dennoch glaubte, anderen neue Hoffnung geben zu können?
Ich fühlte mich wie ein jämmerlicher Versager. Die Welt beeinflussen, den Lauf der Dinge verändern, ein Schutzengel für die Traurigen sein… Es war ein spöttisches Lächeln, mit dem ich mich selbst bedachte. Niemand konnte diese Anforderungen erfüllen, solange er mit sich selbst im Unreinen war.
Zu verletzt war ich. Zu leer. Zu kaputt. Zu müde.
Es war als stürbe der letzte Funken Energie, den ich mit aller Macht versucht hatte festzuhalten. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich, ohne Vlain dabei anzusehen, »du hast es geschafft.«
» Entschuldige.« Verhörte ich mich, oder vernahm ich ernsthafte Reue in der Stimme des Dämons? »Nur ich kann es nicht ertragen, wenn du so tust, als hegtest du keine Zweifel.«
» Woran?«
» An allem«, brachte es Vlain gnadenlos auf den Punkt.
Das Knarren eines Fensterladens bot mir die Gelegenheit seinen stechendbraunen Augen auszuweichen.
»An allem«, wiederholte ich und ließ offen, ob ich eine Frage oder eine Feststellung formulierte, richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.
Vlain nahm kurz den Nasenrücken zwischen Daumen und Zeigefinger und setzte zu einer Erklärung an : »Hast du nie am Sinn dieser Welt gezweifelt? Am Sinn dieses Lebens, an deiner Existenz? An dem, wie es ist? Am Glück und Unglück, das uns widerfährt? Daran, dass das, was wir tun das Richtige ist? An dem, was du bist? Hast du dich nie gefragt, warum du so bist, wie du bist? Warum du dich nicht ändern kannst? Warum diese oder jene Dinge passiert sind, passieren mussten?«
Seine Eindringlichkeit ließ mich erschaudern . »Doch«, bekannte ich leise. »Selbstverständlich habe ich das.« Fügte nach einer Weile scherzend hinzu: »Du hättest Philosoph werden sollen.«
» Ha! Und kein Meuchelmörder, was?«, lachte er halbherzig, als wäre er zu einer plötzlichen Einsicht gelangt. »Hättest du mir vor zwanzig Jahren gesagt, wo ich jetzt stehe, vielleicht hätte ich es mir dann anders überlegt.« Er tat übertrieben nachdenklich. »Sehr wahrscheinlich sogar.«
» Was-wäre-wenn«, murmelte ich nur.
» Ganz genau, mein Freund.«
» Ich bin begeistert von deinem Feingefühl«, räumte ich ein und versuchte, das Zittern meiner Hände geflissentlich zu unterbinden.
Vlain seufzte . »Tja!«
Damit war das Gespräch beendet.
Hatte ich erwähnt, dass wir auf dem Weg zur berüchtigten Universität Gynster Marbelles waren? Vermutlich nicht, denn meine Gedanken waren viel zu ungeordnet und durcheinander.
Wir gedachten dort den großen Bibliotheken einen Besuch abzustatten, um nach weiteren Hinweisen, die von einem Heilmittel für die Verdammten kündeten, Ausschau zu halten. Denn, um es genau zu nehmen, standen wir, was Joseph Sullivans letzten Brief betraf, vor einem Problem. Wir besaßen das Schreiben, nicht aber die Perle.
Liwy war uns in Jwyn zuvor gekommen und hatte uns nichts als die Nachricht hinterlassen. Wie wir aus Mr. Sullivans vorherigen Briefen wussten, benötigten wir jedoch vier Stück der Kleinode. Crevis Vater ging in seiner letzten Botschaft davon aus, dass wir bereits drei der Perlen in unseren Besitz gebracht hätten, was nicht der Fall war. Wie schwerwiegend wären die Folgen? Es sind vier Perlen, die von Nöten sind, um das zutun, was getan werden muss , hatte man uns geschrieben. Nicht drei.
Dies war der Grund, weshalb wir uns auf dem Weg zum alterwürdigen Universitätsgebäude befanden. Denn schon seit einiger Zeit hegte ich eine Vermutung, die ich den anderen aufgrund unserer misslichen Lage zögerlich, ganz wie es meine Art war, mitgeteilt hatte.
» Ich habe seit einiger Zeit eine Vermutung.« Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch mit niemandem darüber gesprochen.
Myriam, deren Rat ich unter anderen Umständen eingeholt hätte, war im Augenblick mit dringlicheren Dingen beschäftigt. Nach unserem Aufbruch aus Lhapata war sie alsbald umgekehrt, um uns den Rücken freizuhalten und darauf zu horchen, wie der Rat im Anbetracht der Tatsachen reagierte.
» Eine Vermutung? Und die wäre?« Ennyds allgegenwärtige Skepsis war kurz aufgeflammt.
» Es könnte mehr Perlen geben, als wir benötigen. Mehr als diese vier Perlen, die Crevis Vater für uns
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