Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
tippte ihn an und symbolisierte mit ihren Fingern einen Treppen steigenden Menschen, dann tat sie als schließe sie eine Tür ab.
Wieder nickte er knapp.
Er öffnete die Tür und erklomm die Stufen.
Crevi schöpfte noch einmal Mut, krallte die Finger in ihre Strickjacke und umschloss ihre Schuhe fester. Folgte ihm wie ein Schatten die Treppe hinauf.
Oben angekommen, lauschte Vlain noch einmal.
Die Luft schien rein zu sein, denn erneut schlüpften sie ungehindert in die kleine Diele dahinter.
Hier wurden sie von einem Spiegel, der von der Wand gerissen worden war, und herausgezogenen Schubladen einer Dunkelholzkommode begrüßt.
Die Scherben registrierend , zog Crevi sich die Schuhe wieder an. Währenddessen durchquerte Vlain einen Teil des Flures und versicherte sich mit raschen Blicken in die jeweiligen Räume, die vom Gang aus zu erreichen waren, dass keine Gefahr bestand. »Gibt es irgendwelche Kammern oder weiter abgelegene Zimmer?«, fragte er sie, nachdem er zum Spiegel zurückgekehrt war.
Sie schüttelte den Kopf. Es war ihr zu riskant etwas zu sagen, da sie zweifelte sich auf ihre Stimme verlassen zu können. Dafür saß ihr der Schreck noch zu tief in den Gliedern.
» Gut. Wo ist der Brief?«
Mit zitternder Hand deutete sie nach rechts.
Er schlurfte davon. Sie folgte ihm. Als sie ihn nun beobachtete, bemerkte sie noch deutlicher, welch zerlumpte Gestalt er abgab.
» Wonach haben sie nur gesucht?«
» Nach dem Brief.«
Sie stutzte . »Wer sollte daran Interesse haben? Er ist ganz persönlich und an mich gerichtet.«
» Es gibt Leute, die hoffen, etwas zwischen den Zeilen zu lesen, was für sie von Interesse ist .«
» Woher weißt du das?«
» Ich weiß, wer dich jagt.«
» Mich jagen?«, wisperte sie. »Ich verstehe das nicht.«
» Ich erkläre es dir später. Erst müssen wir sehen, was der Brief preisgibt.«
» Und woher wusstest du von dem Brief?«
» Oh, Crevi. Eine ganze Menge Leute wissen von dem Brief, von deinem Vater und nun, dass er eine Tochter hinterlassen hat. Doch wie gesagt, dazu später mehr. Wir müssen schauen, was er dich wissen lassen wollte und was nicht.«
» Ich vertrau dir da einfach mal.«
Darauf erwiderte er nichts.
Auch das Arbeitszimmer war verwüstet. Bücher und Papier waren über den feudalen Teppich verstreut worden. Die Scheibe Crevis geliebter Eichenholzvitrine sowie das kostbare Porzellan darin waren ebenso zerschmettert wie der Spiegel. Ihr Begleiter machte einen großen Schritt über die vergossene Tintenpfütze hinweg und schritt zum Schreibtisch. Seine Augen huschten zielstrebig von einer Seite zur anderen, bis sie inne hielten.
Langsam trat sie zu ihm und schaute ihm über die Schulter. D a entdeckte auch sie den Brief.
Unversehrt und scheinbar unberührt lag er unter einem anderen Folianten, der halb herunter geschoben worden war.
»Na sieh mal einer an.« Vlain streckte eine Hand aus und bewegte sie auf den Umschlag zu. Er ließ sein Ziel dabei nicht aus den Augen. Crevi fiel auf, dass seine Finger zitterten und er sich die Lippen befeuchtete.
Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend bemerkbar. Irgendetwas an der Betonung seiner Worte ließ sie schaudern. Als wäre auch er mehr als erpicht darauf, den Brief in die Hände zu bekommen.
Unauffällig hielt sie Ausschau nach einem Gegenstand, mit dem sie notfalls reagieren konnte, sollte er sich doch als kein so treuer Freund entpuppen, wie er sie glauben machen wollte.
Sie entdeckte den Brieföffner, der einmal durch die Tinte geschlittert war und nun bläuliche Flecken hinterließ, als sie danach griff. Dennoch schloss sie krampfhaft die Finger darum und legte den Rest ihrer Last auf den Boden.
Vlain war dies vollkommen entgangen. All seine Aufmerksamkeit war auf den Brief gerichtet. Seine Finger hatten das Papier beinahe erreicht, da explodierte eine gleißend helle Lichtsäule direkt vor ihm.
Crevi sprang kreischend zurück. Ungelenk stolperte Vlain gegen sie und warf sie fast um. Sie brauchte plötzlich beide Hände, um ihn abzufangen, so dass sie den Brieföffner wieder fallen ließ. Hastig versuchte sie , mit dem Fuß danach zu fischen, aber da drehte er sich um.
» Entschuldige«, brummte er. Er schien sich wieder gefasst zu haben. »Aber was zum Teufel war das?«
» Wenn ich das wüsste. Was hast du getan?«
» Nichts, ich wollte das Ding nur berühren!«
» Habe ich dir etwas vorgeworfen? Nein.«
» Entschuldige, ich wollte nicht schon wieder…«
»
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