Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
einmal würdig ist, dass du sie ansiehst. Das war fragwürdig. Du sollst wissen, wozu ich fähig bin. War vielleicht besser so.
Es war so unfair! Wieder einmal hatte Vlain es perfekt getroffen: Er hat uns gerettet und der Dank ist diese Abscheu? Ja, womit hatte ich das verdient?
Ihr wurde bewusst, dass Vlain die ganze Zeit über von seinem Los als Dämon überzeugt gewesen war. Selbst dann, als sie ihm widersprochen hatte. Er hatte recht daran getan, ihr nicht zu glauben. Manchmal konnten einen selbst die Gefühle, wie stark sie auch sein mochten, nicht vor der Wahrheit bewahren. Wie sehr Crevi sich wünschte, sie könnte diese Wahrheit akzeptieren. Ich weiß doch, dass sie nichts dafür können. Weder Adrian noch Vlain . Ich weiß, dass er mich nicht wirklich umbringen wollte, doch es ist so schwer, damit umzugehen. Doch sie würde damit umgehen. Sie musste. Das war sie ihrem kleinen Schatz schuldig. Wie könnte sie ihrem Kind dasselbe Schicksal aufbürden, das sie zu tragen gehabt hatte? Nein, es sollte eine Mutter und einen Vater haben.
Mit einem Ruck erhob Crevi sich. Eine Weile lauschte sie auf ihr pochendes Herz, dann stürzte sie ins Badezimmer, drehte den Wasserhahn auf und benässte sich das Gesicht.
Sie musste raus hier!
Raus aus diesem Albtraum. Endlich aufwachen. Feststellen, dass nichts von diesen Dingen Wirklichkeit war. Am liebsten hätte sie ihrer Verzweiflung mit einem Schrei Luft gemacht.
Sie schaute auf und betrachtete ihr Gesicht. Irgendetwas daran schien ihr fremd. Ganz und gar nicht richtig. Es war dieser Ausdruck, der in ihren Augen lag. Er war zu hart. Zu fest. Zu kühl. Das Zucken ihrer Mundwinkel war keine Andeutung eines misslungenen Lächelns mehr, kein Versuch mehr sich selbst zu ermutigen, es war schlichte Resignation, die aus der Tatsache rührte, dass sie verstanden hatte, wie ungerecht das Leben sein konnte. Da war keine Unsicherheit mehr, keine Zurückhaltung, kein Zweifel. Nur Bitterkeit.
»Wer bist du?«, fragte sie ihr Spiegelbild und streckte eine Hand nach der glatten Oberfläche des Spiegels aus. Prallte zurück, als sie hinter ihrem eigenen Abbild ein zweites gewahrte.
Fuhr herum, als sie die gedämpfte Stimme einer Frau vernahm : »Wer ich bin? Das, was du werden wirst. Sollte es nicht jetzt beendet werden.«
» Liwy«, raunte Crevi entsetzt und wich reflexartig an den Spiegel zurück. Instinktiv sah sie sich in dem fensterlosen Badezimmer um. Nichts als nackte Fliesen, kein Fluchtweg. Kein Entkommen.
Liwy lehnte im Türrahmen und musterte sie kurz. Dann schlenderte sie in aller Ruhe auf Crevi zu, die sich vor Schreck noch nicht wieder rühren konnte . »Du überraschst mich immer wieder. Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so ähnlich sind. Du und ich. Es ist geradezu erschreckend. Es ist…«
» Komm nicht näher!«, verlangte Crevi mit lauter Stimme und hoffte, dass man ihr die Furcht nicht anhörte. Sie schaute zur wasserfleckigen Decke. Die rissigen Fliesen am Boden. Der Raum drehte sich.
» Das meine ich«, kommentierte Liwy ihren lahmen Versuch, sich Zeit zu verschaffen. »Du bist vorlaut geworden.« Sie setzte sich wieder in Bewegung.
Crevi holte tief Luft . »Ich sagte, keinen Schritt weiter!«
Insgeheim hoffte sie auf eine erneute Aktivierung ihrer Gabe, doch davon schien sie im Augenblick weit entfernt. Da regte sich absolut nichts. Keine Anzeichen dafür, dass sie Liwy durch die Luft schleudern oder gewaltsam in ihren Kopf eindringen konnte.
Die Schlange grinste nur gehässig, gerade so als hätte sie ihre Gedanken gelesen. »Und frech bist du auch.«
Liwy hatte sie erreicht. Provozierend langsam beugte sie sich noch ein kleines Stückchen weiter vor, bis Crevi nicht mehr zurückweichen konnte. Sie saß nun endgültig in der Falle. In die Enge getrieben. Wie Wild, das einem Raubtier hilflos ausgeliefert war und nur darauf warten konnte, dass der Feind die Klauen ausfuhr.
Die Andere war ihr so nahe, dass sie ihren Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Liwy hob eine Hand, streifte sich den dunklen Handschuh ab, und berührte sanft Crevis sommersprossige Wange. Eine Gänsehaut überzog ihre Haut und ließ sie die Zähne aufeinander beißen.
Liwy unterdessen schien merkwürdig fasziniert . »Beängstigend. Crevi Sullivan, du bist beängstigend«, murmelte sie und betrachtete sie von oben bis unten, sah sie dabei an, wie ein Metzger ein Stück Fleisch begutachten würde.
» Was?«, stieß Crevi verwirrt hervor, drehte den Kopf bei Seite und
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