Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
riss sich von der Dämonin los, indem sie einen schnellen Schritt nach links machte. »Was willst du?«
Das Blut rauschte ihr in den Ohren und ließ sie schwindeln. Jedes Luftholen erschien ihr unnatürlich laut und ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie eine Ladung Sägespäne verschluckt, so sehr kratzte sie. Ihre Hände krallten sich um den Rand des Waschbeckens.
»Ich kenne dieses Gefühl, Crevi«, fuhr die andere fort. »Sieh dich doch nur an.« Ein gehetzter Blick über die Schulter offenbarte ihr das eigene fahle Gesicht, aus dem ihr zwei dunkle Augen angstvoll entgegen starrten. »Du erkennst dich selbst nicht mehr, habe ich recht? Wer ist diese Frau im Spiegel, der jede Art von Reue, Gnade und Schuld abhanden gekommen ist? Wer ist diese Frau, der ihr Ruhm, ihre Macht zu Kopf gestiegen sind? Wir wollen doch nicht, dass es soweit kommt oder etwa doch?«
Dies hier wäre also das Ende.
Der Tod.
Liwy schüttelte in stummem Leiden den Kopf . »Weißt du, Crevi Sullivan, wir sind uns gar nicht so unähnlich.«
Ihre Mundwinkel zuckten.
Urplötzlich packten klauenartige Finger ihre Kehle und drückten zu.
Crevi sog scharf die Luft ein. In einem Reflex versuchte sie , die Finger der anderen zu lösen.
Erfolglos.
Gnadenlos schlug Liwy ihr den Kopf einmal, zweimal, dreimal gegen den Spiegel und ließ sie Sternchen sehen.
Dann ließ der Druck auf ihren Hals ein paar Sekunden nach.
Crevi schnappte nach Luft. Schluchzte. Versuchte, auf den Beinen zu bleiben. Eine Ohnmacht würde sie nicht retten. Sie musste wach bleiben…nur wach bleiben.
Beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren, hätte Liwy sie nicht gerade noch rechtzeitig an den Haaren gepackt und mit dem Kopf in s Waschbecken geschleudert.
Ein singender Schmerz explodierte in ihrem Kiefer. Ein metallischer Geschmack flutete ihren Mund. Hustend spuckte sie Blut in das zuvor weiße Waschbecken und sprenkelte die Emaille rot.
»Tsss«, hörte sie Liwy wie von ferne ihrer Empörung Ausdruck verleihen. »Ich habe noch nicht einmal richtig angefangen und du kriechst jetzt schon wie ein Häufchen Elend. So werden wir keinen Spaß zusammen haben. Ich würde vorschlagen, du gibst dir ein bisschen mehr Mühe am Leben zu bleiben, dann wird das hier für uns beide amüsanter, das verspreche ich dir.«
Crevi konnte nur nicken. Nachdem der anfängliche Schmerz ein wenig abgeklungen war, klärte ihre Sicht allmählich wieder auf.
»Also wo waren wir?«
Crevi hörte ihr gar nicht richtig zu. Sie brauchte jetzt einen klaren Kopf, verdammt. Vielleicht gelang es ihr eine Fluchtmöglichkeit zu finden, vielleicht war doch noch nicht alles vorbei…
»Es wird dich vielleicht wundern, aber auch ich war damals die Unschuld in Person. Kaum zu glauben, aber ja. Ich war einmal genauso wie du.« Erneut griff Liwy in ihr Haar. Brachte ihr Gesicht ganz nah an ihr eigenes. »Auch ich war damals das liebe, nette, stille Mädchen, das es immer allen recht gemacht hat. Das einsam und unglücklich und unbeliebt war. Das immer eingesteckt, aber nie ausgeteilt hat. Ich weiß, wie leicht man einer Macht verfallen kann, die einen zu etwas Besserem macht. Die dir die Möglichkeit gibt, dich endlich einmal über die anderen zu erheben. Ist es nicht auch das, was du fühlst?«
Crevi zwang sich dazu, soweit ihr dies möglich war, den Kopf zu schütteln . »Ich weiß nicht, was du meinst.«
» Ach nein?«, zischte sie Crevi ins Ohr. »Du willst es nicht einsehen. Du fürchtest dich davor. Du fürchtest dich vor dem, was du werden könntest, vor dem, was du bist. Was ist, wenn du dich vergisst? Was, wenn du dich verlierst? Wer wird nach dir kommen? Wer wird dich ersetzen und es besser machen?«
» Du weißt nicht, was du da redest«, murmelte Crevi. Sie bezweifelte allmählich stark, dass die Frau auch nur einen letzten Funken gesunden Menschenverstand besaß. Was für sie keine wirklich guten Aussichten versprach.
» Ich weiß nicht, wovon ich rede?«, äffte Liwy sie nach. Sie bohrte Crevi die zu Klauen angewachsenen Fingernägel kleiner Messerklingen gleich in die Schulter, bis Blut hervor sickerte.
Crevi stöhnte auf.
» Ich weiß nicht wovon ich rede?«
» Ich fürchte, so ist es«, antwortete ihr eine andere Stimme vom Eingang her.
Liwys Kopf flog herum und ihr Griff um Crevis Schulter verstärkte sich, als sie die dunkle, große und gebieterische Silhouette im Türrahmen gewahrte.
»Du!«, entfuhr es ihr und ein selbstgefälliges Lächeln huschte über ihre Züge.
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